Sonntag, 16. Dezember 2012

SexinthecitY

                                                                            ´Sex in the village´ muss es heißen, denn Khajurhao ist eigentlich ein kleiner unscheinbarer Ort, der noch nicht mal eine Handvoll Straßenlaternen hat, die selbstverständlich nur an Gebäuden der entsprechenden Parteimitglieder hängen. Neben der eindrucksvoll erotischen Tempelanlage hat sich so etwas wie ein touristischer Zweitort gebildet, der zwar relativ im Abseits von Touristenpfaden liegt, wegen seiner erotischen Kamasutra-Darstellungen dennoch so viele Besucher anzieht, dass es sich für die Einheimschen rentiert. Und das wird noch schlimmer werden, den vor dem Ort entstehen reihenweise Luxusunterkünfte und der kleine Flughafen wird grad zu einem Landeplatz internationale Touribomber ausgebaut. Natur gibt’s hier ja genug. Eine traumhafte, wie ich später erlebe.
Nachdem ich gefühlte eintausend Tempel besichtigt habe, muss der nun echt wirklich noch sein! Basta!
Die Meinungen über den Grund der in Stein gehauenen sexuellen Handlungen gehen auseinander. Die einen sagen, wenn die Götter dies sehen, verschonen sie die Einwohner und Tempel vor Unheil, weil sie abgelenkt sind. Andere behaupten, dass die Männer alle Sadhaks (also das-Leben-einzig-dem-Göttlichen-Widmende) werden wollten und so der Nachwuchs ausblieb, weshalb Anleitung und Lust auf Sex gemacht werden sollte. Und wieder andere halten sexuelle Handlungen für einen wichtigen Bestandteil tantrischer Götterverehrung. Warum und ob und wen und inwieweit das hier in Khajurhado zu Nachahmungen anregt, ist mir egal und bleibt noch auszutesten. Mir jedenfalls gefällts.

Wie dem auch sei, ich verlege den Tempelbesuch auf den nächsten Tag und bummel erstmal in der Abenddämmerung herum. Ich bin ziemlich kaputt von den letzten Tagen und will gerne früh im Bett liegen. Sehr schnell bin ich heute genervt von den aufdringlichen Anpreisungen der abertausend Händler, die die Besucheranzahl heftig zu übertreffen scheint und bin dementsprechend patzig-zickig gegenüber jedermann. Einmal nur, ich bin selbst erstaunt, aber ich frag mich auf Mama´s Wunsch nach einer besonderen Heilerde durch die medical stores, schaffe ich es noch freundlich zu sein, als mich ein junger schlaksiger Kerl mit zotteligen Haaren und rotem Gebiss anspricht.
„Ablehnung!“, ist mein erster Gedanke, aber er hilft gekonnt.
Ich hasse diese vom Kautabak roten Zähne und das dazugehörende röhrende Rotzen vor die Füße. Hier steht meine persönliche Kaste fest: unterpriviligiert und der Hang zum Primitiven. Social-Correctnes hin oder her. Hier und jetzt möchte ich in Vorurteilen baden, weil ich beim bloßen Anblick absoluten Widerwillen und beim röchelnden Geräusch Würgegefühle hab. Sollte sogar einer versuchen mit mir zu sprechen, während er den Sabber versucht nicht auslufen zu lassen, könnte es sein, das ich ihm postum vor die Füße reiher. Diese Masche ´neinnichtmal´ der Tabak, war im Süden, oder bei den gebildeteren Menschen vorzufinden und begegnet mir jetzt im Norden wieder an jeder vollgerotzen Drecksecke.
Aber er ist beredt, wortgewandt und gut in Englisch und obwohl er mir mit Wibutu, der Heilerde nicht helfen kann, begleitet er mich selbstverständlich in die Altstadt, erzählt er viel über seine Kultur und die Gegend und es fängt an mir Spaß zu machen. Sein Englisch ist immerhin gut genug ihn zu verstehen ohne ihm auf den Mund schauen zu müssen. Passt doch. Auf meine Frage, ob er professioneller Tourguide ist und später Geld von mir verlangt lacht er nur:
“Don´t worry – I just want to improve my Englisch.“
Pha – die Antwort kenn ich und meist ist doch ein Haken dabei. 
Aber wir bummeln rum, er erklärt mir Tempel und Götter und das Leben. 
Eine Stunde später rauchen wir die erste Ganja neben dem Affentempel und schauen wie ein altes Ehepaar in den Sonnenuntergang. 
Zwei Stunden später diskutieren wir bei ner Halbliter Flasche Rum auf einer Dachterrasse die unterschiedliche Lebensphilosophien.Mir gefällt seine Art zu reden und die Unterhaltungen sind spannend. Außerdem hat mich mein Couchsurfingpartner offensichtlich versetzt, dann nehm ich eben diesen hier. Schließlich geht es mir um die Menschen hier und ein Mensch ist er auch.
"Was für einer ist das?", frag ich mich dann allerdings drei Stunden später, als er mich relativ angedüdelt mit seiner Enfield nach Hause bringt. Er stoppt an der Ecke weit vor meinem Guesthouse und er ist tatsächlich der allererste Mensch seit fünf Monaten, dem ich freiwillig meine BMW zeigen möchte, der sich aber nicht für sie interessiert. HÄ??
„They don´t like me“, sagt er nur kurz mit Blick auf den Eingang vom Guesthouse.
„Ein Kleinkrimineller – pass auf!“, schießt es mir ein Teufelsgedanke durch den Kopf! Ich lächel und würd nur zu gern wissen, warum er sich vor den Angestellten des Hotels verbirgt. 
Aber seine Antwort ist von aalglatter Bauernschläue: „Because they are rich, and they don´t like people like us.“
Na, das versteh ich jetzt nicht ganz. Fährt er doch mit blutjungen vierundzwanzig die einzige neue Enfield hier im Ort. Ist die geklaut oder gar nicht seine? Außerdem bin ich im billigsten Bums abgestieen...
Als ich ziemlich benebelt endlich in mein Bett fallen möchte, klopft es nochmal zart an der Tür.
???
„Sorry Mam. You like some nice Whiskey“, nuschelt mir ein anderes rotes Gebiss im breitem Ginsen entgegen.
Ich kotze innerlich: „Sorry Sir“, antworte ich, „I´ve had enough Rum.“
Er beugt sich vor: „Take care of the locals“, flüstert er dann, „they want to make you drunk and then...“
„OK – thank you“, entgegne ich - mich wohl fragend, was er denn außer Local wohl ist und was er mit der Einladung zum Whiskey beabsichtigt.
Die Sache scheint spannend zu werden. Und da die Heiligenscheine der Rum-Ganja-Engelchen um mich herum in der Mehrzahl sind, flüstert es nur: „No Problem.“



Und tatsächlich ist der nächste Morgen eher von lokaler Kultur als von hinterhältiger Kriminalität geprägt. Wir treffen uns und Guddu entführt mich zu einem Einheimischen-Frühstücksstand...




 ... wir essen bei seinem Freund, dem Künstler, weil es dort dann die passenden Sitzgelegenheiten gibt. Dort kaufe ich nicht nur Kunst...





... Rajendra macht auch Kunst...











bei uns gibt weihwasser am eingang - hier dope
...und anschließend fährt Guddu mich herum, erklärt Lebensgewohnheiten, grüßt das halbe Dorf vom Sattel seiner Enfield, besucht mit mir den Tempel, bei dem die Frage ist, ob extrinsische oder intrinsische Motivation zu einem Besuch animieren und klettert mit mir auf einen Berg um mir den Ausblick in die Ferne zu zeigen.
Und alles ohne Gegenleistung. 
  
„Kann nicht sein“, flüstert mein Warnsignal andauernd, „du kennst die Inder doch jetzt... da kommt noch was... die Nummer zieht der mit jeder ab...“
„Der ist nur nett... der hat sonst Langeweile...“, hält die Neugier dagegen, „people are different...“
„Eben...“ schreit die Alarmstufe , "...Sex in the city... hier überall".
„Halts Maul“
Ich soll ich seinem Großvater vorgestellt werden bei und mit dem wir heut abend kochen wollen.
Wir fahren nach außerhalb und ein Lehmhaus neben einem einzigen Nachbarn in einem kleinen Garten empfängt uns.
Aber nicht der Großvater.
„No problem, we meet him this night.“ 
"Hmmmm.... " - Wenn die ganze Geschichte inszeniert ist, dann hat er das geschickt konstruiert, da er schon gestern erzählte, dass er täglich zweimal seinen Großvater besucht um ihm zu helfen. Dann hat er Übung mit Touristinnen und `Sex outside the city`.
Wenn das doch alles stimmt, dann koche ich heut abend in noch ärmlicheren Verhältnissen, als vorgestern; was echt spannend wäre.


Nachmittags zieh ich mir gekonnt das volle Touriprogramm `Sex at the Temple´ rein und bin nicht nur begeistert von der handwerklichen Leistung der Darstellungen, sondern auch von der gewaltigen Ausdrucksstärke. Ich weiß nicht ganz, ob ich froh oder traurig sein soll, dass mein Süßer in Hamburg ist und bevor ich zu viel Sehnsucht nach ihm bekomme, beobachte ich die Reaktionen der Touris, was mindestens so spannend ist, wie die Erotik an den Tempelwänden.
Die einen lachen amüsiert oder verlegen, die anderen besprechen und analysieren, wieder welche stehen andächtig in enger Umarmung und betrachten nur. 
Und ganz unvermutet gehen meine Gedanken zu Guddu und ich bin froh, das er nicht mit im Tempelelände ist und hoffe auf stressfreien Abend ohne ernsthafte Gedanken an `Sex in the village`.

Der nette Abend beginnt allerdings damit, dass der Großvater wieder nicht da ist.
Muss das sein? Ich bin echt zu alt für solche Spielchen. Während Guddu nach seinem Opa sucht, betrachte ich andächtig den Vollmond, der über dem dunklen, romatisch abgelegenen Häuschen des Opas leuchtet, schau sichtlich bewegt in den silbergrauen Nebel, der in der Ferne und male mir ganz leise aus, wie das im Fernsehn jetzt weitergehen würde... Das Warnsignal meldet sich: „Siehste, siehste, siehste!!“ Ich erfühle mein Pfefferspray, trainiere in Gedanken die gelernten Fausthiebe und denke an den Tritt in die Eier und als Guddu wiederkommt bin ich grad dabei, dass entweder der Opa gleich hier tot im Feld liegt oder später ich.
Entwarnung verbal: Opi musste als Familienoberhaupt mit dem Enkelchen ins Krankenhaus fahren. Na, das ist doch besser als tot im Feld zu liegen aber dennoch bekommt mir die Story allmählich zu viele Untertitel.
„No problem," nach `Namasteeeee` das am häufigsten verwendete Wort in diesem Land. Je nach Situation hasse oder liebe ich es.
"We have everything we need: Rum, Whiskey Coke and Limes. There is a nice place...“, ich hasse es grad.
„SIEHSTE – jetzt kommt die Masche!“ Es leuchtet rot.
„Yes“, unterbrech ich dank der Warnung, denn es bekommt mir zu sehr den Beigeschmack von einem Stelldichein, „We can go to the monkeytemple, where we were yesterday. Its a beautiful place.“ Wohlwissend, dass ich von dort allein nach Hause finde.
„No problem – we can“, ist seine Antwort, aber ich kenn ihn jetzt schon zu gut, dass ich noch ein „aber“ erwarte. 
Ich wusste es. Statt am Tempel halten wir an einem Unterschlupf auf dem Feld neben der Straße. Feldarbeiter machen hier tagsüber Rast und es gibt eine genutzte Feuerstelle, noch mehr genutztes Kochgeschirr, einige zerbrochen Stühle und einen steinernen Tisch. Guddu fährt noch schnell Egg Masala kaufen, denn irgendwas wollten wir ja auch essen, während ich das Feuer in Gang halte. 
Dann parkt er das Moped nebenan unter der Überdachung und der Abend perfektioniet sich: der Vollmond leuchtet über uns und lässt die Sterne erblassen, ein Feuer lodert gemütlich wärmend, der Rum aus den Pappechern schmeckt hervorragend und soger das aufgewärmte Masala aus dem uralten Geschirr ´no problem´ schmeckt einmalig. Wenn doch der Mann an meiner Seite jetzte ein anderer wäre... dann gäbe es gleich „Sex in the fields“.
Aber so bleibt´s bei klugen Gesprächen, die natürlich immer geistreicher werden, denn schließlich müssen wir auch noch den Whiskey vom vermeidlichen Opa vernichten. Und der böse Gedanke von „Sex in the coutryside“, der anfangs wie ein Damoklesschwert über mir baumelte, veflüchtigt sich wie der Alkohol im Rum vollends, als Guddu mich nach Stunden kavaliersmäßig am Hotel absetzt. 
Nur die deutsche Polizei hätte das wohl nicht mehr als Kavaliersdelikt abgetan.

Ein dicker Kopf empfängt mich am Morgen und mein klassiches Gedankenspielchen geht wieder los: Fahren oder nicht fahren.
Nicht fahren! Und den geplanten Ausflug mit Guddu blas ich auch ab, denn meine alten Knochen und mein gebeuteltes Hirn schreien nach Ruhe.  Ich schreib ihm ne knapppe Message, dass ich Denkmalpflege betreiben muss und dass wir uns erst abends zum Essen treffen können, und dann geh ich gemütlich in einer Dhaba essen, bring den Laptop zur Reparatur, deck mich mit Vitaminen ein, sattel die BMW und klemm mich vor den PC.
Ich bin schon ein Planungstalent – so krieg ich meine Sachen organisiert und das Moped gewartet, geh gemütlich essen, sag byebye, bin früh im Bett und kann morgen noch früher abhauen.
Nicht hier! 
Als ich Guddu abends treffe wird meine deutsche Planungsgründlickeit mit der indischen Problemlosigkeit konfrontiert. Die Schwester seines Freundes heiratet heute. Um acht geht’s los, da könne man erst bei nem freund n kleinen Old Monk schlürfen, sich dann auf der Hochzeit gratis durchfuttern und ich könne nette Fotos machen. Der denkt schon mit meinem Tourihirn durchzuckt es mich, aber ich beiße natürlich an, denn hier, wo Sinnlichkeit und Leidenschaft von heiligen Wänden strahlt muss eine indische Hochzeit doch der Hammer sein.

Falsch!
Erotikfreie Zone. Freudlos. Unsexy.
Nein, das Buffet ist hervorragend. Lässig, leider recht unsinnlich stehen die Gäste mit Plastiktellern in der Hand im Innenhof dieses Nachbargebäudes vom Tempel. Reihum wird Essen zubereitet, ausgegeben, verteilt. Durch die anliegenden Türen der Zimmer um den Hof, kann man zu den Hochzeitsvorbereitungen spinksen. Draußen vor der Tür wummert die Soundanlage und ein paar gut gelaunte oder stark betrunkene Gestalten bewegen sich dazu.  Hier wird vor der Zeremonie gegessen und gefeiert. Zu trinken gibt’s Wasser obwohl die Männer allsamt ne Fahne haben.
sein einziges Lächeln...
Dann wird’s ernst. Der Bräutigan, ganz in Gold-Silber-Weiß wird auf ein prunkvoll geschmücktes Pferd gesetzt und er wirkt wahrhaftig gar nicht glücklich. Nur einmal seh ich ihn an dem Abend lächeln, vielleicht dachte er da gerade mal an seine letzte glückliche Minute. Ein Wagen mit überdimensionalen Boxen dröhnt gute Laune in die Nacht und bewegt sich langsam zur ´Merriage Hall` einige hundert Meter weiter weg. Bunte Leuchtschilder werden von Kindern in einem Spalier hinter dem Wagen hergetragen und in dessen Mitte tanzen und feiern die Gäste. 

Eigentlich ein ausgelassen fröhliches Schauspiel, wenn man nicht in das Gesicht des verhärmten Stars des Abends, schaut, der enthoben von allem nicht dazugehören zu scheint.
Meinen neue Freunde erklären mir, dass das in der ´Merriage Hall´ zu langweilig wird und dass es jetzt sinnvoller wäre Rum und Bier zu organisieren um sich in ein unbeobachtetes Eckchen zurückzuziehen. Und so lande ich mit dem sympathischen Pöbel der Gesellschaft, der alle Trinker und Raucher aus vier Nationen und drei Generationen eint, urgemütlich auf dem Boden in einer Ecke über dem Hauptsaal. Wir lassen Bier und Rum und Ganja kreisen und ich bemühe mich nur so zu tun als ob ich mitkonsumiere, weil immer noch der Gedanke der Abreise durch meinen Verstand spukt. Irgendwie glaub ich aber schon nicht mehr dran. Samesame.
Als kurz darauf unsere Flaschen leer und der Saal unter uns wieder voll ist wird’s prächtig und traurig.
Der Bräutigam, immer noch mit mürrischem Gesicht, sitzt auf seinem Thron, als die Braut hereingeführt wird. Sie geht langsam Schritt für schritt über eine Reihe von Männerhänden, die von jungen Männern auf dem Boden vor ihr den Weg bereiten. Eine herrliche Metapher: „Ich gehe über die Hände aller anderen heiratswilligen Männer nur zu dir – Angebeteter.“ 

Wenn da nicht der Gesichtsausdruck der Braut wäre, so viel Traurigkeit und Widerwillen hab ich noch in keiner Mimik gelesen. Es schmerzt mich Bilder von der Hübschen zu machen, weil ich das Gefühl habe, ich werde Zeuge einer emotionalen Hinrichtung und tue nichts dagegen. Falsch: ich unterstütze es noch, weil ich anscheinend Lust hab, die Perversion von Schmerz und Liebe einzufrieren. An diesem Ort, an dem Sinnlichkeit, Sex und Erotik sogar von den heiligen Tempeln gebetet wird, weiß ich was denen heut Nacht keinen Spaß machen wird.
  















Ich gehe. 

Draußen wird gefeiert, getanzt und gelacht. Nicht in prunkvoller Hülle, aber mit Herz und Leidenschaft bis die Musik ausgedreht wird. Das ist sexy.
















Natürlich fahre ich am nächsten Tag wieder nicht, sondern besuche einen Nationalpark. Am frühen Nachmittag hat auch mein neuer Freund seinen Rausch ausgeschlafen und stößt dazu. 



Und wie der Zufall es will, hat er heute keine Enfield mehr – er hat sie verliehen (ein Auge kniept innerlich), aber was ist natürlich mindestens so geil wie „Sex in the city“? 

BMW fahren. 



Wieder einen Mann glücklich gemacht - es kann ganz einfach sein.









Nachtrag: Zwei Männer – denn wie der Hotelbursche hintendrauf abgegangen ist, ist ne andere Geschichte zu dem Thema und das wär jetzt zu lang geworden.

Chiapati-dinneR

orchha - die fröhlichkeit knallt einem direkt entgegen

Kette spannen mit kaputtem Werkzeug allein ist ja schon eine beschissene Angelegen-
heit. Wenn um mich rum allerdings ein Dutzend Inder mit guten Ratschlägen und gaffenden Gesichtsausdrücken stehen, der Staub des Platzes sich in jede frischgewaschene Pore setzt und die Tempelwand gegenüber tatsächlich bepisst stinkt, dann tun Menschen mit Herz und Verstand einfach nur gut.
Ohne Worte packt der 13-jährige Kapel mit an, weiß, was zu tun ist und redet nicht viel. Nur an der der Ratsche, die in Einzelteilen zerlegt ist, kann er auch nichts ändern. Die Nieten sind verloren und bei jeder Bewegung zerlegt sie sich erneut. Es macht keinen Spaß damit zu arbeiten und ich brauche dreimal so lang als sonst, bis die Einstellung der Kette zu stimmen scheint.
„My father is a mechanic“, sagt er schüchtern, „come“.
Ich staune! Immer, wenn ich was brauche, kommt es.
Ich könnt es später mal mit ´Ben-Herwünschen` versuchen, mal schaun, was passiert.
Erstmal aber folge ich dem Teenager in die Werkstatt seines Vaters. 

Eigentlich stellt er diese unwiderstehlichen Touristenfigürchen aller Gottheiten aus Bronze her, die ich mit Abscheu betrachte und zwischen überflüssigem Nippes und Umweltverschmutzung einordne. Aber er besitzt entsprechendes Werkzeug und Geschick und dängelt mir neue Nieten in meine Ratsche.
In der Zwischenzeit zeigt mir der Kleine das Haus. Vier Räume sind schmal und schlauchförmig hintereinander angelegt: zuerst die Werkstatt und Präsentationsraum des Vaters, dann folgt das Schlafzimmer mit einem riesen Holzbett ohne Bett, was tagsüber wohl als Wohnzimmer dient, dann kommt die Küche und dann der Stall. Der fünfte Raum ist ein Hof, in dem eine Kuh mit Kälbchen stehen. Die Großmutter scheint eine Seele von Mensch zu sein, sie lacht andauernd und scheint erfreut über meinen Besuch zu sein, denn obwohl sie nur wenig Brocken Englisch spricht, erklärt sie mir das Leben hier.
Und dann entdecke ich ihn. 
Klein und unscheinbar, übersehbar in die Ecke des Stalles gemauert; „What´s that?“
„For chiapati“, antwortet die Oma, die übrigens kaum älter als ich zu sein scheint.
„Ciaptti?? You make here?...“ „...Im Stall“, verkneife ich mir.
Ich kann mir das nicht vorstellen, denn er sieht aus wie drei U-förmig zusammengestellte Ziegelsteine in zwei Lagen, die mit Zement liebevoll verkleistert sind.
„Yes – every day we make.“
Mittlerweile ist auch der große Bruder aufgetaucht. Ich scheine eine Abwechslung zu sein.
„Really?“, ich wittere eine Chance, „Show me. Please. I want to see.“
„Not now. Every day at 6 pm. You come.“
Angebissen - Stefan würde mich hassen.
„Really?? At 6?? I do.“
Ich weiß nicht ob ich das glauben soll. Hab ich mich da jetzt frech selbst eingeladen, oder wollen die mich wirklich wiedersehen? Aber ich sehe in die Gesichter und sie strahlen.
Ich drohe nochmal:
„I come!“, die kennen mich nicht.
„Promise!“; der Kleine hält mir die Hand hin.
„Promise!“, der Große schließt sich an.
„I promise“ ich drück die Hand und mach das erste mal eine ernsthafte Versprechung in diesem Land.

eigentlich wollt ich hier nur frühstücken ;-)
Bei meinen Bummel durch diesen netten entspannten Ort, der mal wieder voll von Heiligkeiten zu sein scheint schließe ich einen Besuch in einer der zahlreichen Konditoreien ein. So kann ich mit diesem Mitbringsel gleichzeitig Dankeschön sagen und die Ernsthaftigkeit meines Besuchs unterstreichen, nicht dass die nur kurz ein Chiapatti backen und mich dann wegschicken, oder womöglich hinterher Geld für die Präsentation fordern. Ma weiset nit.
Und es wirkt.
Omi strahlt und packt die Schlemmerei sofort weg und setzt sich zu mir.
Ich fühl mich nur die ersten Minuten etwas hilflos, als Großmutter und ich uns dann doch recht schweigend gegenüber sitzen, weil wir an die Grenze unserer Kommunikationsfähigkeit gekommen sind. Da hilft auch nicht stundenlanges freundliches Angrinsen bis Muskelverhärtung droht. Action muss her. Recht unverhohlen forder ich sie auf anzufangen und voller Elan springt sie auf und wir machen wir schonmal Feuer.
vati wärmt sich nur... der tut nix
Und ab jetzt werden Umweltschutzgedanken und Hygienevorschriften bei Seite geschoben und Nachhaltigkeit bekommt einen anderen Stellenwert: Als Grillanzünder werden alte Plastiktüten verwendet, das funktioniert prima, stinkt nur fürchterlich und ich überlege natürlich NICHT, wie lange die Chemikalien der Dämpfe aufsteigen und das Essen treffen können. Diese vermeindliche Umweltsünde wird allerdings sofort mit gutem Karma ausgeglichen, indem getrocknete Kuhscheiße zum Anfeuern aufgelegt wird. 



bei der arbeit...

...und das ergebnis
In manchen Gegenden sieht man sie zu Hauf am Straßenrand die halbmondartigen Fladen aus Dungbrei formen und zum Trocknen in Pyramiden aufstellen. Ich frage mich ERNSTHAFT, warum bei uns über Windenergie und Methangasanlagen diskutiert wird und Pallets ein industriell teuer hergestelltes Brennmittel ist. Beim deutschen Durchschnittsfleisch-Verbrauch muss doch sowas locker drin sein. Vielleicht einfach mal bei Mäces anfragen. Ich entdecke Marktlücken für Industrieländer hier im Schwellenland. Ich muss Doro anrufen und die neue Geschäftsidee kundtun.
Omi lächelt etwas verlegen, als ich beginne ihr beim Zerteilen der Brennfladen zu helfen und lacht laut auf, als ich mich bei diese kinderleichten Übung recht dämlich anstelle.
kapel zeigt mir wie´s geht
Nachdem das Feuer gemütlich lodert wird das Gemüse geschnitten. Die Arbeitsplatte ist der Fußboden und als Werkzeug wird neben einem Kartoffelschüler eine Fußsichel benutzt. Ich pack natürlich fleißig mit an und schäme mich fast zu erwähnen, dass ich mit zwischendrin nicht die Hände gewaschen hab. Ohje, wie komm ich da jetzt raus? Kuhscheiße zwischen Koreander und Kartoffelscheiben.
Ich schweige, während Kapel mir zeigt, wie das Fußmesser funktioniert. „No Problem mit meinen Händen“, denk ich, „der Lehmfußboden ist mit Sicherheit nicht hygienisch rein und seine Füße sind auch den ganzen Tag durch die vollgerotzten staubigen Straßen gelaufen. 

Meine auch. Daher versuche ich mich ohne schlechtes Hygienegewissen an der Sichel. Das dauert aber so lange und meine Scheiben werden mal dick und mal dünn, dass ich genervt dieses Monstergerät zurückgebe. Ich lass mich ja gern begeistern von fremden Erleuchtungen, sonst hätt ich keine Parathapfanne gekauft, aber ein simples Messer hat sich einfach überall auf der Welt bewährt. Warum sollte hier auf einmal etwas besseres auftauchen, von dem die Welt nichts wissen will. Ich zücke mein Taschenmesser und leg angeberisch den Turbogang ein.
Während wir schnibbeln, bereitet die Großmutter nebenan eine Marinade aus Zwiebeln, Knoblauch und Chilly, indem sie auf dem Boden hockend alle Zutaten auf einem alten Holzbrett mit einem Stein zermantscht. Dies duftet phänomenal und das Prinzip mit dem Stein gefällt mir außerordentlich, da bei einem herkömmlichen Mörser immer alles daneben fällt und ich beschließe in Köln nach einem entsprechenden Stein am Rhein suchen.
Alsdann werfen wir alles in einen Topf, um es auf dem auf der Kuhfladenfeuer im Stall zu Kochen. Wir hocken gemütlich drumrum und quatschen.
„It´s better here, because the Moskitos dont like Cowshit.“
Das freut mich. Die Viecher sind bestimmt deutsche Aristokraten und stellen sich an. (Später fahr ich durch Dörfer, in denen die Terrasse vor den Häusern nach einem perfekt braunen Anstrich aussieht. Guddu erklärt mir dazu, das die Frauen jeden Morgen Kuhmist vor den Häusern verstreiche, weil das die Moskitos fernhält. Wieder eine Marktlücke... wer brauch Autan und AntiBrumm?)
„Chai?“, werd ich gefragt.
„Oh. Yes please“
„Black or white?“
„White please.“
„No problem.“

Ich bin sprachlos, denn die Milch steht direkt nebenan, sagt nur kurz „MUH“ und ist mit Sicherheit die frischeste, die je in meinem Chai gelandet ist.
Während wir gemütlich plaudern, holt die Hausherrin die Zutaten fürs Brot. Der kleine Kapel fragt mich inzwischen leise und interessiert über die Kamasutratempel aus, die ich morgen besuchen fahre und scheint an den sinnlichen Darstellungen großen Gefallen zu finden.
„Pscht“ und ein Klaps auf den Oberschenkel beenden das Gespräch schlagartg, als die Omi zurückkommt. Und als wäre er beim Lesen eines Pornoheftes erwischt worden, vergräbt er den Kopf an meiner Schulter. Süß, denke ich und bin erstaunt, welch Charisma diese Tempel vierhuntdert Kilometer weiter westlich bei der Local-Jugend ausstrahlen.
Aber geschickt wie Teenager sind wechselt er das Gesprächsthema zum Rettich und schnell planen sein Bruder und ich in zwei Jahren ein Bio-Resto mit Zutaten seine Farm aufzumachen, Kochkurse für gelangweilte Touris, die schon alles kennen, anzubieten und den Orchha-Besucher mit einem gekonnten Marketingkonzept so richtig auszunehmen. Und während der Teig geknetet wird sehen wir die Dollar fließen und lachen uns kaputt.
Und dann kommt mein persönlicher Luftanhalter. Die Chiapatis werden rundausgerollt, mit Mehl bestäubt und über eine halbrunde umgestülpte Tonform über dem Feuer gelegt. Ganz kurz nur auf jeder Seite. Das Besondere an Chiapati ist aber, wenn sie frisch sind, dass sie sich aufblähen. Und das bekommt man nur, indem man ihnen Raum und Hitze dazu gibt. Und das ist genau da am Feuer, wo die Kuhladen brennen und ihre persönliche Duftnorte in einer Mischung aus Asche, Glut und Organischem Restmüll abgeben.
Zack-zack stellt die Küchenmeisterin die Halbfertigen an diese Stelle, legt schnell den nächsten oben drauf, während der untere sich aufbläht, wendet den halbaufgeblähten gekonnt, schlägt ihn auf dem Handrücken aus, Sauberkeit muss sein und „flatsch“, schleudert ihn auf meinen Teller.
„Start eating“, sagen die Jungs im Chor und stellen mir Masala und frisches Gemüse dazu. Ich aber muss erstmal veschnaufen und bin mir unklar darüber, was mich mehr erstaunt, die traditionelle Backweise oder die Tatsache, dass ich als Erste bekomme und loslegen soll zu essen.
Ich zöger, mentale Verarbeitung des Gesehenen oder anerzogener Anstand zu Warten.
Es ist die Erziehung. Denn der Vater wird sofort im Anschluss bedient und zögert nicht den Bruchteil einer Sekunde damit die Nahrung in sich hinein zu schaufeln.
Mir fällt es schwer zu verstehen, dass ich als Besucher dem Familienoberhaupt in der Essensrangfolge überlegen bin und noch schwerer fällt es mir zuzusehen, wie die Jungs mir beim Essen zusehen. Denn erst wenn ich und der Vater satt sind, dürfen sie beginnen. Ich glaube ich hab heilige Familienregeln gebrochen, als ich beide auffordere von meinem Teller mit zu essen, weil dieser immer wieder gefüllt wird und ich bereits platze, währen ihre hungrigen Blicke diszipliniert auf meinem Teller ruhen.
Die Jungs lachen, als ich erzähle, dass bei uns erst gegessen wird, wenn jeder hat und dass in der Wirtschaft derjenige die Runde zahlen muss, der antrinkt ohne dass die anderen mit anstoßen. 
Dieser Ausflug in die deutsche Kultur wird übrigens nicht übersetzt. Das würde der Hauptakteurin des Abends auch wenig schmecken, denn sie backt Brot, bis der Teig aufgebraucht ist, bewirtet uns, räumt weg, beginnt zu spülen, putzt und lässt sich dabei partout nicht helfen und dann... wenn dann alles erledigt ist und die Jungs mit mir weg sind und der Mann sich die Eier krault und das Essen kalt ist... dann.... dann... dann... darf sie essen.

Und von den zwölf mitgebrachten Törtchen landen abgezählte sechs auf dem Tisch (äh.. Boden) und nur der Vater nimmt zwei. Ob die anderen jemals in den Genuss kommen werden?

Zum Abschluss entführ ich die Brüder tatsächlich noch auf einen Tee ins BlueSky, meinen Wifi-Laden von heute Nachmittag, weil Kapel doch unbedingt wissen will wie mein Mann aussieht. Er hat mindestens so lang mit Ben gescyped wie ich, während es dem großen zu langweilig wurde und er schon ging. Anschließend bringt er mich ganz weltmännisch zum Hotel.
Das wird bestimmt mal n toller Mann.



Ich hab den Abend sehr genossen und werd dieses einfache Essen mindestens so in Erinnerung behalten, wie manches Luxusdinner. Ich bin nur traurig, dass die facbookadresse vom Bruder Deepak nicht funktioniert – das wäre mal ne wichtige Verbindung gewesen – schon wegen unserer Gechäftsidee...

Freitag, 30. November 2012

RahuL

Mehrere SMS, einige etwas wirr, erneutes Fahren in der Dunkelheit durch das Gewirr von Pune, aber dann warte ich auf meinen Couchsurfing-Gastgeber so gegen acht, vor dem Filminstitut.
Auf dem Moped kommt er angebraust, die lagen Haare zum Zopf gebunden und ein breites Stirnband bändigen die langen Strähnen, die ihm sonst lässig um das Gesicht fallen würden. Ein Intellektuellenziegenbart und schwarze Hornbrille betonen sofort das Kreatvie des Filmmachers und der äußerst westliche Modstil mit Jeans und engem Windbreaker lassen ihn vom ersten Moment an äußerst interessant, wenn nicht anziehend wirken. So anders als der Durchschnittsinder.
Er knallt eine Vollbremssung hin und schmeißt mir seine Kiste vor die Füße und lächelt verlegen. „Dipankar“, stellt er sich vor. „Hoppla. Nervös der Kleine?“, geht mir durch den Kopf, „Wirk ich etwa auf den ersten Blick so aufregend auf ihn, dass er seine Sinne nicht beisammen hat?“ Dreizehn Stunden Fahrt über staubige Straßen hinter Dieselwolken, um fünf aufstehen und drei Nächte Party in Goa machen mein Gesicht nicht laufstegverdächtig – das weiß ich genau.

Kinosaalfassade
„Kirsten“, meine Rückantwort.
meine Passiererlaubnis vom Ftii
Und dann redet er in einem Fluss, abwechselnd mit mir in Englisch und mit den Jungs, die mich hierher geführt haben auf Hindu. Und das in einem Tempo, dass ich nur die Hälfte verstehe. Zwischen den Sequenzen meine ich herauszuhören, dass sein Freund, Mentor und eine Ftii (Name des Filminstitites)-Legende heute einen Kollaps erlitten hat und im Krankenhaus liegt. Schlimme Sache das.
Gleichzeitig erfahre ich, dass Dipankars Zimmer nicht aufgeräumt ist und ich daher das Gästezimmer in einem anderen Wohnblock bekomme was sonst der Unterbringung von Gastschauspielern und ähnlichem Geläut, also auch mich, dient. Ein Prosit auf den Gott der Unordnung. Herrliche Sache das.
Dann zeigt er mir mein Zimmer. Das ist schwer, denn jedem dem er begegnet, wird die der unheilvolle Kollabs von Rahul erzählt, er hält die Mensch an dazu an nochmal ins Krankenhaus zu gehen, dass ich allmählich das Gefühl habe, die Sache ist ernster, als ich bisher verstanden hatte. In „meinem Zimmer“ hat bis heute morgen ein niederländischer Couchsurfer gewohnt, der den Schlüssel im Fensterrahmen innen hinterlegt hat. Dipankar will ihn sich angeln, erklärt mir währenddessen das hervorragende Prinzip der Schlüsselübergabe und schwupp - der Schlüssel fällt nach innen ins Zimmer. OMG – was für ein fahriger Typ. Da stimmt doch was nicht.
Aber flexibel, denn schneller, als ich denken kann, hat er eine Brechstange in der Hand und filmreif biegt und haut abwechselnd auf das Schloss ein. Er ist vom Fach, stelle ich fest. Aber eben Film und nicht Einbrecher, denn das Schloss hält stand. In Kürze versammeln sich allerdings durch den Krach angezogen die die Nachbarstudenten, die fasziniert oder fassungslos zuschauen, das Schloss aber immer noch unversehrt ist. Ich weiß, in Filmen klappt das immer. Ich hatte auch mal versucht mir einer EC-Karte meine zugefallene Tür zu öffnen, weil sich das immer so lässig und leicht anschaut. Ich hatte nur die Karte zerbrochen. Er weiß sich allerdings zu helfen, holt eine Eisensäge und macht sich erneut an der Tür zu schaffen.
„Why do you break this door?“, fragt einer.
„Cause she stays there for some nights“, antwortet Dipankar. Mir kommen Frage und Antwort komisch vor, denn vorgestellt wurde ich doch bereits.
„But this is the ecuipiment room!“
Dipankar hat begonnen das Schloss der Nachbartür aufzusägen. Mein Gott – was ist mit dem los?

Ruhe.
Ich dusche mir den Tag vom Leib, nachdem ich endlich im richtigen Raum bin, damit ich beim Essen gehen wenigstens fühle, dass ich bin.
Aber wir gehen nicht essen, sondern wir fahren.
Angst.
Ich sitz mit meinen legendären unpositiven Gefühlen als Sozia bei ihm hinten drauf und die Tatsache, dass er sich eben beim Bremsen abgelegt hat, die falsche Tür aufgesägt hat und allgemein recht hektisch wirkt, macht mich nicht im minimal zuversichtlicher. Und es stimmt: die Maschine stockt und ruckelt wie ein ungezähmtes wildes Pferd, dass ich ihm entweder in die Rippen knalle oder hinten runterfliege. „The clutch is broken“, sind seine Worte, aber ich glaube eher, dass er ein gebrochenes Verhältnis zum Motorradfahren hat. Er lässt die Kupplung flitschen, dass die Funken fliegen, bremst heftig unmotiviert und gibt dann wieder unnötig Vollgas, Autos stocken und hupen noch wilder, als normal, weil seine Fahrweise unberechenbar ist. Gleichzeitig erzählt er immer wieder von Rahul und weil ich nichts verstehe ist er so freundlich und dreht sich zu mir um. Mama...
Ich bete, dass wir heil ankommen und ich bete auch, dass er mich nie fragt, ober die BMW mal fahren kann - ich dürfte und könnte es ihm nicht abschlagen. (Btw: Beten hat nichts genutzt, er hat mich zu allem Unglück noch hintendrauf genommen - Ich hab mich sicherer gefühlt zu dritt auf einem Mofa mit Martin und Anav in Goa).
Und dann beim mit Abstand besten und mit noch mehr Abstand teuersten Thali, was ich je in Indien gegessen habe versteh ich endlich, was los ist.
Rahul ist tot.
Seit einer Stunde ist er Thema Nummer eins und ich dachte ich hab alles verstanden. Dass er nach dem Tod seiner Freundin sich von Allem losgesagt hat, dass er im Institut aufgefangen wurde, dass er nach seinem Kollaps im Krankenhaus mit Elektroschocks reanimiert wurde, dass dabei eine Rippe gebrochen ist und die sich in die Lunge gebohrt hat und sich dann Bläschen gebildet haben und dass die Ärzte gesagt haben, dass sich heute Nacht alles entscheidet... Alles – nur nicht das Entscheidende, dass er tatsächlich gestorben ist. In den Armen Dipankars. Zehn Minuten bevor ich angekommen bin.
Bang!
Ich krieg eine Gänsehaut und weiß nicht ganz wie ich mich für dieses peinliche Missverständnis entschuldigen soll. Nicht ich ab ihn nervös gemacht. Nicht grundsätzlich ist er ein hektischer Konfuzius.
Es ist Rahul. - Und dann darf man das Moped hinfallen lassen und die falsche Tür aufsägen.

Und von dem Moment an steckt Rahul in so vielen Momenten des Besuchs, dass er am Schluss zu etwas Besonderem geworden ist.
Am nächsten Morgen besuche ich das Osho-Ashram, weil dort eine Schnupperstunde angeboten werden soll. Das Angebot findet allerdings nicht mehr statt und die Preise sind so gesalzen, dass ich in mich reinhorche und schlagartig sowohl meine innere Ruhe sehr deutlich spüre als auch eine heftige Abneigung gegen die die modisch ins Klo gegriffenen roten Gewänder, die man natürlich tragen muss. 
Auch der anschließende Besuch am Bahnhof verläuft ergebnislos, außer, dass ich allmählich fundierte Erhebungen über die Effizienz indischer Bahnfahrkartenkauf aufstellen könnte. Zum Entspannen begebe ich mich auf einen Altstadtbummel und merke, dass mir die Stadt gefällt. 



 Entgegen aller Reiseführeraussagen mag ich das Nebeneinander von Tradition und Moderne, von alter Brüchigkeit neben glänzender Pracht. Wie ganz Indien eben – authentisch. 
Und ich merke aber auch, dass allzu gern Mäuschen spielen möchte, wie die Sache mit Rahul weiter geht. Wahrscheinlich SOLL ich nicht ins Ashram und SOLL ich keinen Zug bekommen. Irgendwie SOLL ich das mitbekommen.
Zurück im Filminstitut begegnet mir der Leichenzug von Rahul. Eigentlich wollte ich mit Dipankar Fotos und Filme schauen, weil mich seine Arbeit interessiert und ich in mein Indien-Bildungspaket die alternative Filmindustrie neben Bollywood aufnehmen wollte. Aber hier kann ich jetzt nicht stören. Mehrere Hundert Menschen haben sich von gestern auf heute versammelt um Rahul auf seinem letzten Weg zu begleiten. Hierfür wurde er noch einmal in der Halle des Wohnheims in dem er mit seinen Studenten gewohnt hat, aufgebahrt. Ein Satz persönliche Kleider, einige Bilder, Kerzen und Blumen sind zu einem kleinen Schrein arrangiert, der die ganze Nacht dort bleibt. Der Leichenzug zieht an meinem Fenster vorbei und nicht Stille begleitet den Sarg auf dem Weg zum Krematorium, sondern von Zeit zu Zeit ertönt etwas, was ich Schlachtrufen zuordnen würde. Ich hab vergessen zu fragen, was das war. Zu fremd fühl ich mich leider noch, um jetzt runter zu gehen und spontan daran teilzuhaben. Aber die Neugierde ist groß.
„You could have come...“ erklärt mir Dipankar beim Essen abends in einem Restaurant, was qualitativ alles indische übertrifft, was ich bisher hatte, aber auch mehr als mein Tagesbudget und eineinhalb Monatsmieten Dipankars ausmacht. Müssen Männer immer so... Wahrscheinlich kann er sich das deshalb leisten.
Aber so reden wir wieder über Rahuls Da´s Filme, den westlichen Einfluss, den er nach Indien gebracht hat, sein Leben und sein intensives Arbeiten. Sein Verhältnis zu den Studenten. Bei seinem Kollaps war er mitten bei Dreharbeiten. Der Mann nimmt immer mehr Form und Gestalt an.
Und dabei erfahre, dass die Kondolenzveranstaltung auf den nächsten Tag um elf verschoben wurde (ich grinse innerlich) und zusätzlich hat Dipankar mir versprochen, dass wir abends zusammen kochen (da isses: ich SOLL beiben). Das ist allemale spannender, als noch n Tempel und noch ne Höhle und dafür bleibe ich mal wieder einen Tag länger. Fahr ich eben hinterher schneller beschließ ich.

Um elf bin ich vor dem Kinosaal des Instituts, vor dem sich schon etliche Menschen versammelt haben. Es dauert noch die indische halbe Stunde bis zum Einlass und im Geiste verlege ich meinen Höhlenbesuch auf morgen früh. Die besten Zeiten hat der Saal hinter sich, aber Dapankar meint er sei neu - so um die dreißig Jahre alt. Bei uns würde es entweder Kinokarten zum Schnäppchenpreis geben, oder überteuert, weil in historischem Antiquariat vorgeführt. Die Sessel sind nahezu durchgefurzt und die Metallumrandung der Polster sieht aus, als hätte sie einen Kugelhagel an der Front überstehen müssen, aber sie lassen sich praktischerweise mit ein wenig Schwung in Halbliegeposition bringen. Die Soundanlage klingt verzerrt und bringt nur schwer die Worte zu mir so dass ich manche Redner gar nicht versehe. Dennoch bin ich beeindruckt von den Worten, die für den Filmmacher gefunden wurden. Beeindruckt davon, welche Worte er für das Leben gefunden hat und was für eine warmherzige Persönlichkeit mit allen Macken des künstlerischen Daseins er verkörpert haben muss. Ein Leben für die Kunst, die sich der Gesellschaftskritik hingibt – sowohl im eigenen Land, dessen weltberühmten fast monopolistischen Filmstil er abgelehnt hat, als auch weltpolitisch. Beim anschließenden Film "Genesis", der aus den Siebzigern stammt wird mir dann deutlich, dass er die drogenumnebelte, symbolschwangere Ausdrucksweise des Westens nicht nur mitgelebt haben muss, sondern auch in seinen Filmen umgesetzt hat. Mode, Musik und die zeitgemäße Antikriegshaltung erinnern an europäisches Kulturgut – nicht an Bollywoodkitsch. Ich bin schwer beeindruckt und dankbar dafür, dass ich wieder mit einem Teil Klischee über die Kultur eines Landes aufräumen musste.
erst der mopedgeile Vierbeiner...
...dann die Kumpel
Als Gegenleistung des Kulturaustausches darf Dipankar dann BMW fahren, der dritte Inder, der in den Genuss kommt und er ist so glücklich darüber „A dream become true“ ruft er mir nach hinten mit einem Strahlen zu, dass ich weiß,dass alles richtig war. Denn seit die Kondolenzveranstaltung vorbei ist, ich seh ihn zum ersten Mal in den zwei Tagen Lachen. Und wenn das Fahren der BMW dazu beiträgt... 

Er bleibt sogar mit in der Werkstatt und hilft so richtig Künstler-untypisch mit die Bremseläge zu wechseln, das seine Finger hinterher so schwarz sind, wie seine Haare, aber er lacht.
Abends besteige ich den Nachbarberg im Sonnenunteergang, um ein bisschen Bewegung zu haben. Gut dass mir Dipankar vorher noch steckt, dass dieser Berg DER Berg in Rahuls Film ´Genesis` ist.  Rahul steckt mittlerweile im Detail.


Beim abendlich geplanten Kochen, was fast schon den Charakter eines Rahulschen Leichenschmauses hat, kann er dann allerdings wieder nicht mitmachen, weil er ein spontanes Testshooting mit einer Studentin machen muss.
Er bleibt also doch ein Chaot.
Bei mir ist allerdings wieder ein neuer Eindruck Indiens hängen geblieben. Danke Rahul – ohne deinen Tod zu genau dem Zeitpunkt wäre mir dieser Teil der Kultur verborgen geblieben. 
Und noch etwas ist geblieben: Einige von Rahuls Worten, die zitiert wurden, haben wir noch in unseren folgenden SMS verwendet.

http://en.wikipedia.org/wiki/Rahul_Dasgupta

Donnerstag, 29. November 2012

IndieserminutE

...die jetzt ist
...und nebenbei ist dort auch noch kultur in hampi...
und die du gleich darauf vergisst,
geht ein Kamel auf allen Vieren
im heißen Wüstensand spazieren.

In Hampi am Flussufer sitz ich etwas länger als eine Minute. Ich gestehe, dass ich sogar den dritten Morgen hier sitze, obwohl ich ursprünglich nur nur zwei Tage mit Doro bleiben wollte. Irgendetwas, magisches, verführerisches, gemütliches, sphärisches, weiß der Kuckuck was, hat mich aber hier gefesselt.
Nach nur zwei Stunden an diesem Ort ist mir klar, dass ich mein Zugticket verfallen lassen muss, dass ich Doro die grausame Wahl stellen muss entweder mit mir hier zu bleiben oder alleine vor zu reisen, dass ich den Zimmerpreis womöglich alleine zahlen muss, dass ich allein mit dem Zug reisen muss... dass ich hierbleiben muss. Doro mit meiner Entscheidung zu konfrontieren bereitet mir am meisten Gewissensbisse, weil ich irgendwie an Stefans Reaktion in der Türkei denken muss, als ich spontan eine andere Route eingeschlagen hab und ihn dadurch zwei Tage allein gelassen habe. Aber ich kenn sie gut genug um einschätzen zu können, dass sie mich nicht verzweifelt heulend verflucht, sondern ihren eigenen Weg entsprechend anpassen kann. Und sie kennt mich gut genug um zu wissen, dass sowas passieren kann und um mich zu verstehen. Das sind eben Freunde. Und so kommts dann auch.


Ich sitze hier den dritten Morgen und bin begeistert von der friedlichen und geschäftigen Stimmung. Die Menschen gehen gelassen und ruhig ihrer eigenen Beschäftigung nach.
Schon oben am Ghat (die Treppen zum heiligen Fluss) stehen kleine Chaiverkäufer, die um diese Uhrzeit noch zu müde sind die Touris anzujammern. So wirkt die Stimmung authetisch und erholsam für mich. Am Treppenaufgang hat sich der Friseur niedergelassen, der statt ´Bunte´ oder ´Focus´ eine XXL-Reality-Flatscreen mit Szenen vom Fluss bietet. Wahlweise mit Sunrise- oder Sunset-Modus. Wahrscheinlich mit Vorreservierung.


Und unten am Fluss, dessen magisch orangene Farbe eine unwirkliche Farbharmonie in die Szene zaubert wird der Tag begonnen.
Da wird Wäsche gewaschen und ausgeschlagen. Während der eine alte Mann lediglich seine zwei Unterhosen wäscht, die er nach seiner eigenen Morgendusche just in dem Moment unter seinem Rock ausgezogen hat, ist eine Gruppe Frauen mit einem Großauftrag von Bettwäsche beschäftigt. Die gereinigten Tücher liegen dicht an dicht über die Ghats des Flusses zum Trocknen ausgebreitet und erinnern mich mit ihrer streifenförmigen Farbigkeit an moderne Bilder von Gerhard Richter.

Eine junge dralle Frau wäscht sich. Es ist ein sinnlicher Anblick, wenn sie sich mit Wasser übergießt und langsam ihre Haare ausstreift. Ob sie weiß, wie sie wirkt? Wie sie allerdings sauber wird in ihrer vollen Montur an Unterröcken, Kleidern, Saris, Armreifen, Shirts bleibt wohl ebenso ihr Geheimnis, wie die Magie der Stadt die ich an nichts Konkretem festmachen kann.
Eine andere Frau hat ihr Bad beendet und wechselt umständlich ihre Kleidung. Sie ist mit ihrem Mann hier und beide harmonisieren wortlos miteinander, als würden sie dies seit Jahren so handhaben.
 


 Eine leicht verhärmt wirkende Frau hat ihre Wäsche und sich selbst gereinigt und malt sich mit weißer Farbe Muster auf Arme und Gesicht. Zwischendurch erhebt sie immer wieder in unterschiedlichen Gesten ihre Hände zum Himmel. Mein Kopf formt die merkwürdigsten Bedeutungen dieses Rituals aus - so vieles weiß ich nicht über die Kultur. Gestern erst hab ich mich mit einem Mann am Flussufer unterhalten, der mir erzählte, dass sein Vater gestorben ist und er nun neun Tage lang jeden Morgen für eine Stunde an den Fluss kommt, um mit einem kleinen Feuer seines Todes oder seines Lebens zu gedenken. Ich fand das beachtlich, wurde allerdings stutzig, als er so gar nicht in Trauer wirkend um ein paar deutsche Euromünzen bat, die er seinem Vater darbringen wollte. Leider wurde die Geschichte dadurch dann doch etwas unglaubwürdig und in mir wuchsen schon morgens um sieben latente Hassgefühle, auf diese Geldforderungsmaschinerie, die der Tourismus in Wallung gebracht hat. Aber der Frau konnte ich Tele-sei-Dank ins Gesicht blicken und ihr hätte ich ohne Zweifel diese Geschichte abgenommen.

Die Jugend ist auch dabei. Ein Junge pinkelt ins Wasser. Andere beschmieren sich Daumendick mit Creme und werfen die leere Tube in den Strom. Wen kümmert´s? Gewaschen wird zwei Meter Stromabwärts, da ist das schon verdünnt. 







Und den Mann, der daneben steht und betet, der ist grad eh in einer anderen Welt.





Der tempeleigene Elefant, der tagsüber für zehn Rupies den Spender mit seinem Rüssel segnet, liegt schon seit einer halben Stunde gemütlich auf der Seite und lässt sich von Kopf bis Schwanz mit einer Bürste abschrubben. Auf einen Stubser mit dem Stock des Pflegers hebt er in Zeittlupe das Bein, so dass auch die Kimme geschrubbt werden kann. Jeden Morgen kommt er in den Genuss dieser Wohltat. Nur gestern Morgen wurde er mit einem LKW abtransportiert. Wahrscheinlich zur wöchentlichen Pediküre. Hach - Einmal ein Tempelelefant sein, huscht durch den Kopf, während der Dicke sein Bein wieder in Zeitlupe ablegt. Gleichzeitig überlege ich, warum hier eigentlich kein Eintritt verlangt wird, denn zwei Hände voll Touris sitzen auf den Stufen und die Videokameras schnurren und ein Blitzlichthagel begleitet das Spektakel.



Ein Junge setzt in den klassischen runden Körben zur anderen Seite über. Das wirkt zwischen wild romantischem und hoffnungslosem Unterfangen, denn er dreht sich dabei hin und her. Trotzdem bin ich sprachlos, wie schnell er letzendlich in dem archaischen Stoh-Wok sein Ziel erreicht. Vielleicht sollte ich ein Foto mal Stefan Raabs Redaktion schicken, als neuer Herausforderung für seine Schwachsinns-Sport-Events, die das deutsche Winterloch während der Bundesligapause füllen können.
An diesem Morgen beschließe ich einfach mal zum anderen Ufer über zu setzen und dort den Tag zu beginnen. 
Mal sehn was da alles so in einer Minute passiert...