Mittwoch, 30. Januar 2013

MaorI

Der Morgen begrüßt mich mit einer Sms meines Maori-Couchhosters, dass er meine Nachricht grade erst bekommen hat. Dreifach-Anti-Jubel, jetzt spielt auch noch die deutsche Telekom gegen mich und hat das 1:0 geschossen. Er ist untröstlich, läd mich zum Kaffee und zum Duschen ein, aber ich lehne ab, schließlich will ich den 11km-Guten-Morgen-Wandertreck begehen und mit ihm über Kultur und sein Leben reden und nicht nur kurz vorbeischneien. Meine Missmutigkeit hat sich nicht nicht gelegt.

Aber die Dschungelathmoshäre mit gigantischen Farnbäumen, Palmen, Heidekraut und riesigen Grasblüten vertreibt meine miese Stimmung. Auf Schautafeln werden einige Nutzpflanzen der Maori erklärt, was mir endlich einen kleinen Einblick in die fast verlorene Kultur bietet und laufe muter drauflos, picknicke mein Früchstück an einem sonnien Fleckchen und nach einem Coffee to go (das erste, was ich in dem Land sofort lieben gelernt habe - bis auf den Preis natürlich). Die Idee fühlt sich gut an.
Also simse ich mein frisch gefundenes Originalexemplar erneut an und lade mich frech für heute Abend ein.
Er freut sich – und ich auch.
Meine Laune ist prima, ich bewaffne mich mit Optimismus und beschreite den Weg der alten Kultur.
Erst suche ich heiße Quellen. Überall locken gepimpte Bilder und riesige Werbebanner mit Spa-Angeboten aber ich will ungefiltere, kostenlose Ehrlichkeit, also beleibt mir nichts anderes übrig, als dem kleinen Fluss zu folgen. Ha! Ich find sie tatächlich, In der ersten könnte ich Eier im Turbogang kochen – 
120 Grad lese ich später, aber etwas weiter läuft heiße Schwefel Thermalwasser in das kalte Wasser und ich definier dies als Kiki´s Badewanne.
OOOOps... Ich weiche zurück. Schon beim Hineingehen werden meine Füße heiß, weil die Erde glüht.
Aha! Weißes Gestein ist offenbar heiß, ockerfarbenes ist betretbar. Das hätte leider zur Folge, dass ich nur im kalten Wasser liegen könnte, denn da wo es warm wird, ist es so flach, dass ich mir sofort den Arsch verbrenne. 
In mir steigen Vermutungen auf, warum die Leute Eintritt für aufbereitete Badeanstalten zahlen. Aber ich lass mich nicht weichkochen, vielleicht siegt Not über Tugend, also mein Geiz über das Bedürfnis nach Authentizität, aber ich leg mich ins Wasser. Hoppla: ich unterkühl mir meinen Allerwertesten, kratz mir durch die Strömung die Schiebenbeine auf und verbrenn mir die Finger beim Festhalten an dem heißen Gestein. Durchatmen, schade dass keiner ein Foto machen kann und schnell wieder raus. Ich verbrenn mir nochmal die Füße auf weißem Gestein -nicht aufgepasst-, stinke fürchterlich nach hoffentlich sehr gesundem Schwefel und bemerke, dass mein Silberschmuck pechschwarz angelaufen ist. Drauf geschissen - ich war drin!
Anschließend besuche ich Whakarewarewa, die Thermal Village, in der heute noch Maori auf dem heißen Grund leben und die Hitze nicht nur zum Kochen, sondern auch für Heilbäder und als Touristenattraktion nutzen. Natürliche Recaurcen? Ehrlich? Ich hab zwei Anläufe gebraucht um dieses Zurschaustellen mitzumachen. Aber erstens verdienen die Maori auf diese Art seit Einzug der Touris im achtzehnten Jahrhundert ihr Geld, zweitens will ich ja auch was erfahren und drittens will ich die Geysiere sehen. Oh ihr geldgierigen Tourischlepper – Fünfzig Dollar Eintritt für ein paar Spuckede Erdlöcher. Ich beschwer mich darüber spaßeshalber aber auch ehrlich frustriert bei einem Wärter, der mir posthum hinterher geschlichen kommt und hinter vorgehaltener Hand erklärt: „Go to the Thermal village, it´s cheaper, and you see the same.“
Ich schau ihn mit meinem Maoriblick an.
“Not so near, but...“ er verdreht vielversprechend die Augen.
Ich verdrehe auch die Augen und glaube zu verstehen: Gibt’s hier eine Möglichkeit auf Grenzüberschreitung?
Also bummel ich kurz darauf durch das Thermal-Dörfchen, was immerhin ein normales, bewohntes Dorf ist und bereits vor dem Einzug der Europäer entstanden ist und ich bin wirklich begeistert von den brodelnden Quellen und darauf gebauten Öfen. 
Ich zieh mir die liebenswerte Kutlurveranstaltung mit Songs und Tänzen und Mitmachmaorigebrüll rein (gut dass jetzt keiner ein Foto von mir machen kann), schlender bei wieder aufkommendem Regen noch über die kurzen Rundwanderwege und habe permanent das Augenzwinkern des Wächters im Hinterkopf.
Mist der erste Übergang zum Nachbarmuseum ist mit drei Männern besetzt. Schlender-schlender, der zweite sieht gut aus: um den Zaun gewunden, durch Gestrüpp und Gräser, um einen zweiten Zaun an einem kleinen Abhang gehangelt, durch eine Absperrung und ich bin drin. Pfeif ein munter Liedchen - geht doch.
Ein Wächter schaut mich kurz darauf prüfend und grimmig an. Ganz genau spür ich ein schlechtes Gewissen in der Magengegend entstehen, aber bevor es sich breit macht und mir Unsicherheit aus den Augen leuchtet, drück ich ihm meine Kamera in die Hand, lächel freundlich und bitte ihn ein Foto von mir vor den Geysieren zu machen. PUH. Danach lächelt er auch und ich schleich mich von dannen. Leider wurde grad ein Bus neugieriger und zahlender Menschen entladen, die für ihren Eintritt auch das letzte Eckchen begehen müssen. Wie Lemmige ziehen sie zu meinem Geheimübergang und ich muss nun wirklich bummeln, mache überflüssige Fotos um Zeit zu schinden, schau hochinteressiert fürchterlich langweilige Gesteine an und unglaublich..., ich hab das Gefühl die Blödmänner denken glatt hier ist was Spannendes und machen noch langsamer. Aber gut Ding will Weile. Ich schaff meinen Weg zurück und verspeise noch ein Gemüse-Fleisch-Gericht, was wohl in einem der natürlichen Dampfkessel zubereitet worden ist.

Es folgt ein Besuch im alten Badehaus, was als Museum eingerichtet ist weitere Wissenslücken über die Kultur, die Region und die Entstehung des Tourismus schlißet. Ein Nickerchen und anschließender Spaziergang entlang des Rotorua-Sees, den Flüsse mit Sulfat speisen und das Wasser in eine milchg-weiße verwunschene Farbe verwandeln gibt der geschmackosen Kleinstadt einen charismatischen Touch. Überall am Strand brodelt es, wabbert der Matsch in Löchern und das Gestein ist weiß-grün verfärbt.
Um kurz nach sechs steh ich vor der Haustür, seine Tochter holt mich an der Pforte ab und mich empfängt das fröhlichste Lachen, seit ich im Land bin. Er nimmt mich in den Arm, als wären wir alte Freunde, erklärt mich schnell die einzige Hausregel: „My home is your home“, und hält mir eine Flasche Bier entgegen. 

Aaaahhh – kein Problem mit der Regel. Ich fühl mich direkt zu Hause.
Sein Haus ist winzig, und unaufgeräumt. Auf dem Tisch stapeln sich Aktenordner (er ist Richter, da hat man viele Akten), auf der Anrichte zur Küche der Einkauf (er hat vorgesorgt) und Krimskrams. Die abgenutzte orangene Sofaecke dominiert das gesamte Wohnzimmer ein, dass man sich drumherumschlängeln muss und wird nur von dem Flachbildschirm übertoffen. Sowohl das in die Jahre gekommene Mobiliar, als auch abgetretene eine Grundreinigungvertragende Fußboden strahlen eine sympathische Athmosphäre vom Junggesellen aus. Seine Tochter passt in das Bild, sie übt noch das modische Outfit ihren Körperrundungen anzupassen und sie strahlt über das ganze Gesicht. Alles ist gut. Keine falsche Attitüde, einfache Ehrlichkeit.
Schnell stellt er sich drauf ein langsamer zu sprechen, klärt kurz ab, dass ich entweder mit seiner Tochter und der Cousine im Kinderzimmer oder auf der Couch schlafen kann und stellt mich dann vor die Wahl, Gemüse oder Fleisch zu zubereiten. Das geht schnell und er weiß, was er will. Aber ich bin dankbar für diese Offenheit, wir quatschen viel und ich erfahre, dass er zweiundzwanzig Geschwister hat und selber fünf Kinder von vier Frauen. Bei Familienfeiern muss halb Neuseeland zusammenkommen. Er erzählt von einer Maoriinsel, auf der sich üersinnliche Dinge und plötzliche Heilungen ergeben haben, er erklärt, dass kinderlose Ehepaare einfach ein paar Kinder von denen abbegommen, die der Kindersegen heimgesucht hat und er läd mich für den Morgen in eine Maorieigene heiße Quelle ein, in der Touristen verboten sind.
Und endlich endlich eröffnet sich mir ein Bild von einer bestehenden langjährigen Kultur, die auf Spiritualität, Natur und Familie gegründet ist und nicht auf Abziehbildern einer materiellen, westlichen Oberflächlichkeit, die bei der Shoppingmall um die Ecke anfängt, gerade noch für adrenalinpumpende Schwachsinnsactionen stellvertretend als Lebensbeweis, bis zum hauseigenen Elektrogrill reicht.
Als wir mit kochen fertig sind, finden sich plötzlich noch drei weitere Gäste ein, seine Nichte und zwei Cousinen aus Australien, die sofort mit um den Wohnzimmertisch Platz nehmen. Die Couches reichen nicht aus, aber das stört keinen, denn man kann eng zusammenrücken und den Boden benutzen. Wir plaudern munter, trinken meinen mitgebrachten Wein und alles ist easy.
Später wälzen wir sein Hostbuch und ich stelle fest, dass ich ungefähr der 270ste Couchsurfer in drei Jahren bin. Seine Lebensaufgabe scheint Gastfrendschaft und das verbreiten seiner Kultur zu sein. „I´m a lucky man“, betont er immer wieder. „My very best friend...“ das sagt er zu jedem zweiten Bild – diesmal: „from Korea“. Er hat die halbe Welt bei sich zu Hause gehabt. Jede Person mit ihrer eigenen Story, ihrer eigenen Geschichte ihrem eigenen Typ.
„I´m a lucky man“, höre ich an diesem Abend noch häufiger.


Der nächste Morgen startet um halb sechs.
Ich bin gespannt, auf was ich mich da bei diesem Kerl eingelassen hab. Mindestens die Hälfte der Couchsurfer lächeln auf Bildern aus diesem Bad in die Linse. Was denken wohl seine Lebensgenossen, wenn Jacko jede Woche ein anderes Gesicht hier hin schleppt. Ha, was sollen sie denken, mich kennt hier keiner.
Rein äußerlich erwartet mich ein vor langer Zeit mal grün gestrichener Bretterzaun, in dessen Mitte ist ein rechteckiger Pool in die Erde gemauert, dessen heißes, weißes, dampfendes Wasser mich mit Wohlwollen erfüllt. Einige Maori-Gesichter lächeln mich an. Umkleiden sind lediglich eine weitere halbe Bretterwand. Hier gehts mir gut. Einfach und ursprünglich. Ich erinner mich an die heiße Quelle in Tatopani in Nepal, nur dass es dort wesentlich kälter war und der Ausblick auf die schneeweißen Berggifel dramatischer - so ähnlich ist die Athmosphäre.
Ein geothermisch erhitztes Maori-Schwefelbad, fernab vom Tourismus, spiegelnden Fassade und überhöhtem Eintritt. Ich genieß die dampfende Hitze, obwohl mir eher nach joggen zumute ist und freu ich, dass ich nichts von der Unterhaltung der Männer verstehe, weil die Sprache so fremdländisch klingt. Ich liege in dem Pool, schau in den Himmel und spüre gleichzeitig die wohltuende Hitze des Wassers und die frische Kühle der frühen Morgenluft. Ich bin gleichzeitig weit genug weg, um in kein Gespräch verwickelt zu werden und doch nah genug, um eine fremde Welt zu schnuppern, die Normalreisenden verborgen bleibt. Hier steckt ein Teil der Kultur, die ich gesucht habe und die noch nicht untergegangen zu sein scheint. Mir geht’s gut und ich weiß, dass es so gerne weitergehen darf.
 
Hinterher geht’s zu Rührei, Nescafe und meinem vierrädrigen Vehikel, zurück in die Welt, die ich jetzt bereit bin mit allen traditionellen und modernen, mit allen europäisierten und adrenalingespeisten Facetten kennen zu lernen und anzunehmen. Maori oder Nicht - Neuseelands Kultur macht halt die Mixture als Gesamtpaket aus.

Sonntag, 27. Januar 2013

KulturloS

naja fast - das ist über dubai
Neuseeland klatscht mir seine potenzierte Spießbürgerlichkeit mitten in die Fresse.
Das fängt schon auf dem Flughafen in Singapore bei einem Zwangszwischenstopp an.
„Smoking not allowed“
„Pardon“, ich verstehe nicht, denn ich stehe draußen vor dem Gebäude.
„Smoking only at door one and eight.“
Ich schau mich um und entdecke mit Rauchverbotschildern gepflastere Wände und ein Hinweisschild, dass ich vor Eingang vier stehe. Also schiebe ich meinen Gepäckwagen und meine schlechte Laune drei Eingänge weiter, wo ich mich mit anderen armseligen Gestalten der Unterschicht um den einzigen Aschenbecher formatiere. Nach vierundzwanzig Stunden auf Flughäfen, einem verpassten Flug und dann dem doppelten Preis für den Anschluss eine unwürdige Angelegenheit. In Auckland wird das noch schlimmer. Hier empfangen mich Warnschilder, dass die Einfuhr von Obst und Gemüse mit bis zu vierhundert Dollar Strafe geahndet wird -ich schmeiße meine letzten Orangen schweren Herzens in die dafür vorgesehenen Eimer. Weiterhin müssen sogar getrocknete Lebensmittel deklariert werden und ein Verstoß wird mindestens mit derselben Buße geahndet. Ich habe Masala und Himalayasalz als Mitbringsel im Gepäck, deklariere natürlich nicht, sonst ziehen sie es womöglich ein und schwitze pures Adrenalin am Zoll. Ich beschließe beim nächsten Mal Kokain statt Himalayasalz zu schmuggeln, dann lohnt sich der Nervenaufwand wenigstens, den ich hier dank dreihundert Gramm heilender Geschenke durchstehe. Ich hab mir sagen lassen, dass Koks um die zehntausend Dollar pro Gramm bringt, was den Schweiß auf meiner Stirn und das Gefühl ein Schwerverbrecher zu sein, rechtfertigen würde. Zudem werden mein Zelt und meine Wanderschuhe biosphärisch untersucht, und während ich zwanzig Minuten auf mein Zelt warte, darf auch null komma nirendwo geraucht werden, weil „you´re breathing fresh air“ erklären mir die Schilder draußen und ich ignoriere sie, weil kerosingeschwängerte Luft durch eine Zigarette nicht an Wert verliert.
Oh Mann – mir reichts schon fast.
mit conny beim segeln
Conny hat tapfer vor dem Airport auf mich gewartet, sie kennt das Prozedere schon und nach eineinhalb Stunden cruisen wir endlich durch Vororte, die mich stark an die Gewerbegebiete von Köln Pesch erinnern. Auf den bügelglatt geteerten Straßen liegt kein Kaugummipapierchen, kein weggeschnipptes Kippchen kein Rotzfleck, der Rasen der Vorgärten hat messerscharfe Kanten und die schnuckeligen sauberen Häuschen haben nie mehr als eine Etage. Kulturschock und ich bin kurz vorm kotzen. Gut dass eine Freundin neben mir sitzt und erklärt, das das alles normal ist.
Normal?
Noch - der Eindruck ist nur eine Stunde alt -  kann ich dem Land nichts abgewinnen, was mich beeindruckt. Es ist wie zuhause, nur geordneter. Aber warten wir mal ab. Und.... es kommt schneller als ich denke: Conny zaubert nachts um zwei ein eiskaltes Becks aus ihrem Kühlschrank. Ich bin beeindruckt.
Nach fünf Tagen bei Conny´s Familie, erholsam, allein wegen dem Jetlag und der sauberen gepflegten Umgebung, schwing ich mich in den Sattel meines neuen Mietautos und freu mich zum ersten Mal dass die Mororradpreise so hoch sind, denn es regnet den ganzen Morgen. Der Kofferraum ist gefüllt mit Lebensmitteln für zweihundert Dollar. Ich kann alles wahllos reinschmeißen, was ich auch tue, denn ich muss die Vorteile eines Autos potentiert nutzen, damit ich mich mit meinem neuen Fahrzeug anfreunden kann. Mantramäßig maniulier ich mich selbst eifrig mit Gedanken: „Toll toll toll, ein Auto zu haben“, werfe die Klappe zu, steige ein und fahr los.
mein vehikel schleppt alles und ist überall schlafplatz
Ach nee - andere Seite. Ob ich mich daran gewöhne? Fünf Monate bin ich jetzt problemlos mit dem Motorrad links unterwegs gewesen, aber das Auto macht mich fertig. Beim Blinken setz ich grundsätzlich den Scheibenwischer in Gang und wenn ich gedankenlos schalten möchte, knall ich die rechte Hand gegen die Scheibe. Immer wieder erwisch ich mich beim Blickkontakt mit dem aufgezeichneten Gangschaubild auf dem Knüppel, weil ich die Gänge auch spiegelverkehrt erwarte und immer wieder rüttelt mich das Rappeln der linken Fahrbahnmarkierung aus der Illusion, dass ich jetzt alles im Griff hab.
„Fahranfänger“, schimpf ich mich zurecht und trau mich kaum über hundert zu fahren oder die Überholspur zu nutzen. Das muss sich ändern, das bin nicht ich.
AAAArg – , vor mir platzt ein Reifen, ich such die Lücke links, denn ich bin doch auf der Überholspur gelandet, die Scheibenwischer arbeiten im Turbogang, „scheiße - wieder falscher Hebel“, aber wer braucht schon Blinker. Die Scheißkarre zieht im fünften nicht spontan, also runterschaten... „Autsch“, ich hau wieder hektisch die rechte Hand gegen die Scheibe, weil ich den vierten Gang suche. F***, aber wer muss schon runterschalten?
Zäh quäle ich mich an dem Pferdetransporter mit floddernden Reifen vorbei. Hier aber wird nicht gedrängelt, hier ist Platz, hier sind die Menschen rücksichtsvoll im Verkehr. Und wenn eine hilflose Frau am Steuer mit wedelnden Scheibenwischern im Schneckentempo auf der falschen Seite einen Wagen mit geplatzen Reifen überholt...., dann lassen wir sie einfach. „No worries.“
Durchatmen.
Ich bin angespannt, genervt und kann hier noch nichts genießen.
Die Landschaft sieht aus wie die das Bergische Land, die Straßen sind leer, gut ausgebaut, perfekt beschildert, Rastplätze und MacDonalds alle paar Kilometer. Keiner hupt, nimmt einem die Vorfahrt, drängelt oder bleibt liegen. Keine Kühe, Menschen, Pferdekarren, Mopeds, kein Dieselgestank, keine Ausweichmanüver und kein hektisches GEHUPE. Es ist stinkend langweilig.
Ich hab mich in dem Hexenkessel Indien nach dieser Ordnung gesehnt und jetzt ödet mich das Land hier an. Ich will zurück.
Aber es ist nicht das Problem des reibungslos funktionierendenden Verkehrs. Dieser ist in dem Moment nur stellvertretend für ein riesiges Defizit des Landes, was ich nicht sehe.
Die Kultur.
auckland: kultur an jeder ecke ...
Seelenlos kommen mir die Menschen und das Land vor – Orte ähneln sich wie ein Ei dem anderen. Kleine niedliche flache Häuser. Die Menschen sind cool durchgestyled modisch lässig. Sie treiben Sport, jeder, egal welchen Alters oder welcher Körperfülle. Die Supermärkte riesig, kalt unüberschaubar. Das Essen ein Überangebot aller Kulturkreise gekrönt mit allen namenhaften Fastfoodketten der Welt. Die Gesetzte ängstlich eingrenzend.
Wo ist die eigene Kultur des Landes?
... sogar richtig alte zwischen moderner architektur
Wo eine besondere Kleidung, ein Gericht, ein Aussehen eine Angewohnheit. Ich sehe Europa in seiner Vollendung.
Ich freu mich heut abend bei einem Couchsurfinggastgeber zu übernchten, der ein Maori ist und hoffe eine Antwort auf die Frage zu bekommen.
Vorher lade ich aber einen Tramper ein, der mir auch nichts näher bringt, als einen schönen Wald, den Reed-wood-forest, in dem eine Runde spazieren will, während ich auf Nachricht meines maorischen Kulturfinders warte. Na prima. Auch die Bäume sind nur ein Import aus Canada erklärt mir eine Schautafel. Um Glück fängt es auch noch an zu schütten, nochnichtmal der Sommer ist hier echt. Dafür gibt’s Toiletten, hunderte von Wanderwegn, Mountainbikestrecken, Reitwege und aberhunderte von Hinweisschildern, wer wem Vorfahrt zu gewähren hat, wo Müll hinkommt, dass man die Weg nicht verlassen darf, welcher Baum woher kommt und in wessen Gedenken er gepflanzt wurde. Und wieder der unübersehbare Hinweis: „Youre breathing fresh air – please don´t smoke“, der Wald ist übersäht mit diesen Schildern, dass man Angst hat, sich als Raucher zu outen.
Ich bin reizüberflutet. Und gereizt.
Ich ziehe trotz Regen los und suche latent einen Zeltplatz, man weiß nie, was kommt oder was nicht kommt. Und er kommt nicht - der Rückruf von meinem Host.
Meine Kulturrettung verlässt mich. Hier geht alles schief.
Und ich bin sauer. Sollte er doch meinen Eindruck der seelenlosen Menschen des kulturlosen Landes retten und mich aus dem Sumpf der Ignoranz ziehen.

traumhafter zeltplatz zehn tage später - geht doch
Langsam.... langsam freunde ich mich mit der PlanB an, hier im Wald mein Zelt auf zu bauen. Es ist nett hier, der Regen hat aufgehört und ich würde morgen mit der lila Wanderstrecke den Tag beginnen. Auch nicht schlecht. Ich packe mein Campingequipment aus dem Auto, Wein mit Schraubverschluss nicht vergessen für die letzte Stunde des Tages und.... Platzregen. Monsum. Katzen und Hunde, dass ich in Sekunden wieder klitschnass bin. Verfluchte Scheiße. Wofür bezahl ich hier eigentlich?? Wo ist die Prty, die ich erwartet habe.
Mir bleibt nichts übrig, als im Auto zu übernachten, denn es wird schon dunkel.
Jetzt muss eine Wutentladung per sms an meinen Liebsten her. Und ein Glas Wein. Und eine Kippe.
Da rollen Scheinwerfer an.
Jetzt noch? Mir schwant Fürchterliches.
Sie halten direkt neben mir. Leuchten ins Wageninnere. Ich lass das Fenster runter.
„We close now. Please leave the ground.“ Was knallt mir mehr ins Gesicht, der Regen durch die runtergelassene Scheibe, oder die Worte des Rangers.
„Close??? The forrest?“ , mein Gehirn versteht das nicht.
„Oh yes thanks“, mein Sprachzentrum reagiert weitaus besser.
„Fuck Newzealand!!!“, mein Gefühl gipfelt im Orgasmus der Bestätigung. Ich erinner mich, dass ich gelesen hab, dass der bekannteste Wanderweg nur in einer Richtung begangen werden kann und mit vorheriger Anmeldung bei den Übernachtungsstationen.
regen-urwald... herrlich

Mag mich das Land nicht?
Ich mag das Land jedenfall noch nicht. Bis jetzt scheint jedenfalls alles drauf hinauszulaufen.
Aber auch Ranger haben mal Feierabend und nachdem ich eine Alibirunde durch die Gegend gedreht habe, stell ich mich auf die Wiese vor die Schranke und gewöhn mich schon mal an das Schlafen auf Beifahrersitzen.
Ich träume von Verboten, Reglementierungen, schlechtem Wetter...
Wie soll das nur weitergehen?

Irgendwie nuss ich meinen Blick bereinigen.




Samstag, 5. Januar 2013

NeplswüstE

meine schuhe in reparatur
Gebucht hatten wir Sunrise mit Gipfelpanorama auf die Anapurnarunde. Wir haben uns im Hotel kennengelernt: Carina, eine RussischDeutsche mit ihrem französischn Freund Yvon, die sich vor neun Monaten in Australien kennengelernt haben. 
Dessen Freund Maxime, der die beiden für zwei Wochen besucht. Alle drei sind Anfang zwanzig und die Jungs Sportstudenten. Daneben glänze ich, die seit vier Monaten außer AlibiYoga am Strand, nichts sportlicheres als Gasgriffdrehen und Zigarettenstemmen trainiert hat. Für den Sunrise sind wir zwei harte Tage gewandert, weil wir die Runde in drei, statt wie in den üblichen vier Tagen schaffen wollten.

 Daher wartete nicht nur mehr Strecke am Tag auf uns, sondern wir mussten auch gegen den Uhrzeigersinn, und somit gegen das Gefälle laufen. Es ging nahezu permanent bergauf über Stufen, die von den Bergbewohnern angelegt sind und als Verbindung zwischen den Orten dienen. Die Lunge hat gebrannt, das Thema „nie wieder rauchen“ wurde latent wahrgenommen und bei jeder Pause von allen zur Seite geschoben. 
Zwischendurch hab ich den Gruppenzwang verflucht, der mich verpflichtet weiter zu gehen nur um Sunrise zu sehen und die Gruppendynamik verehrt, die mich mitzieht. Es war so kalt, dass wir nur in kompletter Wandermontur, zwischen Mützen und Schals nur ein Spalt vor dem Mund zur Nahrungaufnahme gelassen, unser Dinner einnehmen konnten. 
Bekloppt eigentlich.
Sunrise auf dem Poon Hill...

Es ist morgens um sechs Uhr. Es schneit, als wir auf 3200 m ankommen. Zudem ist es schweinkalt und die Auswirkungen asiatischer Massenveranstaltungen haben uns wieder eingeholt: Trotz Nebensaison ist der Pfad zum Gipfel von der Menschenkette nahzu nahtlos in Petzls Flutlicht getaucht, so dass ich meine verlorene Kopflampe gar nicht vermisse. So hab ich mir das nicht vorgestellt. Etwas sehnsüchtig denke ich an den Ararat.
Für ein Gipfelbild vor dem Schild müssen wir wir so lange die schlitzäugige Arroganz erdulden, dass mir der Geduldsfaden reißt: ich drücke meine Kamera unserem hilflosen Tourguide in die Hand, zerre mein Französisch-Deutsches-Gipfelteam vor die japanische Fröhlichkeit und wir binnen drei Sekunden können wir das Tal zum Frühstück stürmen.
Geht doch.
Nach dem Frühstück solls zurück nach Pokhara gehen.
Ich grübel...
...eigentlich schon seit Tagen.
Zu gern würd ich weiter nach Norden in die „Wüste Nepals“, aber mir macht der Schnee Sorgen... Wäsche hab ich nur für drei Tage und Geld auch... Der Akku meines Apparates ist fast leer...Was ist, wenn was passiert...
Andererseits:
Als wir zum Frühstück in Ghorepur einlaufen, hat es aufgehört zu schneien und die Wege sind nun wirklich offensichtlich... die Unterwäsche muss halt ein paar Tage länger halten und in Muktinath gibt’s angeblich einen ATM... Nur wegen ein paar Fotos zurückfahren und nochmal Eintritt in den Nationalpark zahlen??... und was soll passieren... pah???
Ich geh allein weiter.
Ich bin zwar ein wenig traurig, als die anderen abziehen, weil wir einfach ein klasse Team waren, aber ich erwisch mich beim Liedchenträllern, als ich aufbreche.
Der sympathische Ort riecht nach verbranntem Holz und der Schnee dämpft jegliche Geräusche. Mein Blick wandert in die Ferne und ich sehe die ersten blauen Himmelsstücke zwischen der Wolkenmasse auftauchen.
blick von tatopani
Lächeln! Auf in die Wüste. Hab ich doch wieder alles richtig gemacht.
„Wrong!“
Ich schrecke aus den Gedanken.
„Wrong way“, brüllt mich ein fröhliches Gesicht unter Bergen von Gepäck auf dem Rücken an: „this is a buffalo´s way.“
Ich schau mich um.
Soll ich mich jetzt verarscht fühlen, ist doch eindeutig...
...„Konzentration“, mahne ich mich. Bin ich doch verträumt einfach dem ausgetreteneren Weg gefolgt, weil der noch nicht benutzte Wanderweg im Schneeeinfach unerkennbar ist.
weg zu einer der heißen quellen in tatopani
Von da an passe ich auf, aber schon nach einer Stunde verschwindet die weiße Sanftheit, die Landschaft strahlt in warmen Farben über die Berge, die Sonne strahlt zeitweise hervor und machmal blitzen die weißen kargen Gifel der sechstausender durch die Wolken.
Es geht beständig sanft bergab und ich trab einfach so vor mich hin, begeistert von der Natur, den kleinen Ortschaften, dem Wetter, meiner Entscheidung und dem Gefühl allein zu sein.
Aber Allein reisen heißt mehr Kontakt als zu zweit zu haben.
In Tatopani übernachte ich – so war das geplant und beim Dinner in einem schäbigen Local Resto mit wirklich schlechtem Thali, setzt sich ein Australier zu mir, läd mich zu einem oder zwei Bier ein und wir quatschen uns fuselig. Am nächsten Morgen genieße ich unendlich die Wärme der Heißen Quelle in Ufernähe, mit Blick auf den schneebedeckten N..., der zwischen den Bergen hevorlugt. „Hey Kirsten, I have to leave have a nice trip“, brüllt mir der Australier vom Weg entgegen - scheiße ich bin zu spät, wir wollten zusammen frühstücken. Egal. Mach ich das eben mit dem Niederländer von gestern, der zeitgleich in dem Resto zum Frühstücken auftaucht, heißen Kaffee, Masala-Omlette und frisch gepresste O-Saft bestellt. Und als ich um neun an der Bushaltestelle einlaufe, Abfahrt des Busses ist so-ungefähr-zwischen-neun-und -und-zehn und dieser glatt an mir vorbeifährt, weil ich nicht wild mit den Armen Stoppsignale gegeben habe, ist das auch egal, denn ich hab mich mit einem Traveller festgequatscht, der seit Jahren mit seinem Bulli und seinem Hund durch den Asiatischen Raum reise, mir von Schießereien im Iran erzählt, zeigt wie er seinen Hund danach selber wieder zusammenflicken musste, von korrupten Indischen Zollbamten, kriminellen Banden in Kashmir, Autopannen, schlechten Straßen... hab ich ein Glück.
Der nächste Bus kommt so gegen elf und den passe ich wild fuchtelnd, schreiend, laufend ab, und er nimmt mich mit. Lazy living - so macht das Spaß.
Aber nicht auf der hintersten Bank im Bus. Wer das einmal mitgemacht hat weiß, warum die hinterste Reihe leer ist und sich vorne freiwillig vier Mann zwei Sitze mit einem Sack Reis teilen. Binnen Minuten schaffen es die durchgenudelten Blattfedern meinen Kopf mit Beulen zu übersähen und meinen Rucksack quer durch den Gang zu schießen. Ich bin fast dankbar, dass der erste Bus vorbeigefahren ist, denn der hätte mein noch nicht verdautes Frühstück ohne Probleme dem Fahrer ins Genick geschleudert. Ich setzt mich zwischen zwei Sitze, stemme meine Füße gegen die Sitzstreben beim Vordermann, drücke die Wirbbelsäule zwischen die Rückenlehnen und beschließe die Busfahrt als Multifunktion von Muskelaufbau, Rückenmassage mit angeschlossenem Reality-Action zu betrachten. Denn wenn sich rechts neben einem der Abgrund auftut und die Menschenkonserve sich dank im Weg liegender Felsbrocken beängstigend dem Schlund entgegen neigt, darf einem mal die Spucke wegbleiben ...
Das Kalli Galdhakki ist ein wunderschönes Tal und je weiter sich der Bus nach Norden hochackert, deto karger und berauschender wird die Landschaft. Ein Stopp auf halber Strecke lässt mich bei der Zigarette abseits der Mitreisenden staunen: Nicht verstaubte, abgerupften Brennesseln säumen den Wegesrand: Hanf, seiner ergiebigen Ausbeute beraubt kümmert dort unschuldig vor sich hin. Und bei der Weiterreise bemerke ich bushohe Pflanzen, die ich während der Fahrt aus dem Fenster hätte ernten können. Die Idee hatten aber bestimmt schon andere.
„Toll. Scheißbusverkackter, der mich heut morgen stehen gelassen hat.“ Ich geh an die Decke. Steh ich in eisiger Kälte in Jomsom und uninteressiert teilen mir teilnahmslose Gesichter mit, das heute kein Jeep mehr nach Muktinath geht.
FRAGZEICHEN.
Wir haben vier Uhr. Was soll ich verdammt nochmal in diesem Nest, ohne Geld, ohne Laptop oder Buch machen?
NOCH MEHR FRAGEZEICHEN.
Ohne Strom, ohne Heizung, ohne Ladegerät für den Fotoapparat.
Eine innere Wüste tut sich auf.
Es wird ein Kampf mit mir selbst so ohne Beschäftigung.
Sollte das denn nun wirklich sein?
Ich schaue den Kindern beim Spielen zu und opfere Reststrom für ein Foto, um das Lachen einzufangen, mit dem sie auf einem Stofftier reitend die Straße mit Fröhlichkeit versorgen.Vorsicht mit dem Akku.
Ich schlender um den Block aber dieser Teil des Ortes ist trostlos.
Ich überlege gar, ob ich zu dem anderen Ortsteil am Flughafen laufe, dort hab ich einen ATM gesehen, aber der Weg in der Dunkelheit ist mir zu kalt und zu weit und für heute und morgen den Jeep recht die Kohle.
Ich bestell mir Cowmen zum Dinner, mit Abstand das preiswerteste Gericht aber auch das geschmackloseste Nudelgepansch, was ich je gegessen hab. Aber heute ist mir das egal, es ist billig, warm und sättigend und morgen gibt’s Yaksteak mit Bier - koste es was es wolle.
…. wrong....
Welcher Arsch hat mir eigentlich gesagt, dass es hier einen ATM gibt!!!
Ich laufe Mittags in Muktinath auf checke im wärmstends empfohlenen Bob-Marly-Guesthouse ein: „I stay two nights. But first I need an ATM - where is it?“
„No ATM.“
Ich reiß die Augen auf.
„No, we don´t have ATM.
Schweißausbrüche und Schwindel. Das glaub ich jetzt nicht: „I only have fivehunderet Rupies left.“
Lüge, ich hab sechshundert und fünf Dollar überschlage ich schnell.
„ATM only in Johmsom.“
Scheiße – war ich gestern zu faul dahin zu gehen??
„Western Union? Bank? Can I pay with credit card? Money excange with credit card? Online banking?“ Mein Hirn sucht in Blitzgeschwindeigkeit nach Umleitungen,
Nichts.
Ich rechne durch: Zimmer einhundert Rupies, billigstes Dinner, billigstes Frühstück, Wasser aus der lokalen Quelle am Dorfplatz, dann komm ich mit +/-Null in Jomsom an. Dann MUSS der ATM aber auch funktionieren, sonst hab ich ein Problem.
Komischerweise ziehe ich aber auch nicht in Betracht meinen geplanten Abstieg einfach sofort zu beginnen. Es wäre entweder ein vorverlegtes Desaster, oder eine vorgezogene Lösung. Das mögliche Desaster kann ruhig einen Tag warten und eine mögliche Lösung am selben Tag würde mich einen schönen Tages in Muktinath berauben – wenn ich schon nicht die geplanten zwei oder drei Tage bleiben kann, dann wenigstens den einen.
Also verordne ich mir erstmal mentale Enspannung, was mir bekanntlich nicht leicht fällt. Kurzentschlossen nehme ich outgesourcte Hilfe an, wander in Zeitlupe zum Tempel auf dem Berg, schicke von dort unaufällig ein Stoßgebet zu einem Gott mit Migrationshintergrund - Rama die gute Seele wird mir das vergönnen, und ich stecke sogar erstmalig in meinem Leben zehn Rupies als Opfergabe in die Donationbox – das ist viel wenn man nichts hat.
Na, wenn das nicht hilft.
Und dann suche ich die kleine Monastry, die eine Australierin mir im Dorf empfohlen hat. Ich kaxel auf dem Fels herum, folge Irrwegen zu unendlich vielen Stupas, marschier einmal um das Tempelgelände - ich kann nichts finden. Dreimal beschließe ich, dass ich jetzt gehe, um im Ort nach finanzieller Lösung zu suchen und etwas billiges Nahrhaftes aufzutreiben, denn mein Magen knurrt um drei Uhr empfindlich laut - sieben Stunden ist mein Dhal, ein Schälchen Linsensuppe, her und mein Wasser ist auch bald aufgetrunken. Aber dreimal dreh ich um und suche weiter nach diesem Ort. Ich weiß nicht warum.
Rauch. Ein Stück weiter vorne steigt er auf und ich folge dem Zeichen.
Ein ordentlicher Haufen Steine bildet den Rest einer kniehohen Wand, knapp dahinter stützt eine mannshohe Wand den Berg und gibt dem offensichtlich eingestürztesn Steindach, was den Teppich dazwischen darstellen könnte, die letzte Ahnung von Wohnlichkeit.
„Come, come!“ werde ich hergerufen. Herzliche Augen mit langen Wimpern und ein strahlendes Lachen umrahmt von einem Bart winkt mich rüber. Arme, die in einem viel zu großen oft geflickten Wolljacket stecken gestikulieren mich zu ihm. Ein dreckiges Tuch locker als Turban um den Kopf geschlungen, ein weiteres dreckiges Tuch um die Hüfte gewickelt und eine handvoll Ketten um den Hals umrahmen das einladende Gesicht.
„Come, sit down.“
„Why not“, denk ich, was hab ich schon außer Zeit.
Und schon streicht er auf der eingestürzten Wand, die als Sitz, Arbeitsplatte, Ofengestell und Spüle dient eine weiteres dreckiges Tuch glatt und bittet mich Platz zu nehmen.
Er spricht einigermaßen Englisch, beherrscht die Höflichkeitsformeln und hat ein bildhübsches Gesicht – was macht der Kerl hier??
Ein krankes Husten und ein Zischen durch die Zähne, was Frieren hörbar macht, kommt aus der anderen Ecke des Acht-Quadratmeter-Wohnimmers-ohne-Wände-und-Dach. Sein Kumpel lacht mich an. Jeder dritte Zahn fehlt. Die halblangen schwarzen Haare stehen wie bei Strubbelpeter in alle Richtungen, um die freundliche Augen sind tausend feudvolle Falten, und er ist mindestens in genauso dreckige Lumpen gehüllt, wie sein Freund.
„Namaste – welcome“
Er kriecht aus einem Loch in der hinteren `echten` Wand und schält sich hustend aus einer dahinter liegenden Höhle. Ich erhebe mich um ihn zu begrüßen und bekomme ein „Sit down, sit down“ und eine Zigarette, als Antwort. Wir rauchen wie alte Bekannte und plaudern in flüssigem Hauptschulenglisch. Fast hab ich das Gefühl, die haben nur auf mich gewartet. Der Alte hustet fürchterlich: „You should stopp smoking – it kills you“, lach ich ihn muttermäßig an. Er lacht mit winkt ab - er versteht Spaß. Herrlich hier oben. Ich vergess meine Finanzrobleme.
Sie erzählen, dass sich schon immer hier draußen leben, aber jetzt kommt der Winter und der wird hart. Das Dach ihres Höhlen-Vorzimmers sei vor kurzem eingestürzt und diese Nacht hatte es geschneit. Die Morgensonne hat den Schnee dann schmelzen lassen und das Schmelzwasser sei durch die Steinritzen in ihre Höhle gelaufen. Und noch während wir qualmen beginnt der Ältere unter fürchterlichem Husten und bibbernd vor Kälte, Steine vom Boden zu suchen. Er versucht die Höhle mit Planen abzudichten, um sie mit Steinen von oben und der Seite zu beschweren und zu schützen. Ich helfe ihm. Blöd rumsitzen ist eh nicht mein Ding und obwohl er mir signalisiert ich soll ´downsitten´, arbeiten wir fröhlich Hand in Hand.
In mir regt sich was … ein Knurren!
Was mukkt denn mein Magen jetzt rum!
Aha!
Neben mir auf der halben Wand glimmt ein Feuer aus Kuhdung, auf dem ein großer Topf steht. Bisher im Schatten seiner Bedeutung rückt dieser Topf in den zentralen Focus: Mein hübscher Freund hat den Deckel abgehoben und eine köstlich duftende, gelb gewürzte Reispfanne sendet optische Botenstoffe an mein Hirn, das posthum akustische Mangelerscheinungen des Magens als Reaktion bekommt. Er rührt den Reis vorsichtig um, legt behutsam den Teller als Deckel wieder drauf und stellt den Topf beiseite.
Eine Erscheinung.
„Chai?“
Der reizt mich doch nicht mit Reis und fragt mich dann ob ich Chai will – saust mir durchs Oberstüchen. Das ist ja wie mit ner Enfield vorfahren und mich dann fragen ob ich Lust hab Rollschuh zu laufen.
„Oh. Yes please.“ Konditionierte Erziehung hat gesiegt – heißen Dank an mein Elternhaus. Heißer Tee ist auch gut, denn ich hab weder noch.
Und mit einer Engelsgeduld, ein Liedchen pfeifend geht er zur nahegelegene Wasserquelle, füllt den Kanister auf, füllt einen kleinen Topf damit, ordnet die Steine um das Feuer neu, damit der kleinere Topf darauf steht, legt Kuhfladen nach und stellt dann den Topf auf den `Herd`. Währenddessen versuchen wir zwei die Höhle wasserfest zu machen und das Ergebnis ist nicht schlecht. Nur noch der Eingang ist frei, aber er erklärt mir, dass er dafür ein Tuch hat.
Ich darf einen Blick in deren Wohnstube werfen. Links öffnet sich eine etwa zwei Quadratmeter großer kindsgroßer Raum, in dem Vorräte stehen. In die Tiefe des Berges dringt eine schlauchförmige Höhle, mit einem Durchmesser kaum größer, als ein HoolaHoopReifen, aber lang für zwei. Hier liege Decken und er erklärt mir, dass es kuschelig warm wird, wenn beide Fuß an Fuß hier liegen. Das glaub ich gerne, obwohl der Alte hustet und röchelt, so dass ich bezweifel, dass die Nächte kuschelig warm sind., Ich hätte jetzt gern meinen Sack Medikamente dabei, um irgendwie helfen zu können ...Idee! Ich krame mein Halstuch aus dem Rucksack, drück es ihm in die Hand und bin wieder Mutter und Lehrerin in einem: „You should wear that“, und ich meine es ernst. Ich hätte ja schwören können, dass er es ablehnt, aber er lächelt sogar dankbar und zieht es sich um Hals und Ohren.
Na, darauf spender ich auch noch ne Runde Zigaretten und überlege nicht unsmaritterlich, dass ich dann nur noch zwei für heute Abend habe.
Wir rücken zusammen im hinteren Teil des Vorhofes, in den die Sonne noch gemütlich scheint und meine Gastgeber zaubern ein Säckchen mit Ganja hervor und beginnen zu bauen. Ich muss schmunzeln, denn wenn die Kerle nichts und noch weniger haben, dann haben sie immer noch Ganja und ein Handy. Is wahr. Fast andächtig wird eine Zigarettenhülle mit dem Gras-Zigarettengemisch gestopft. Hier haben wir Zeit. Keiner hat Termine. Kein Stress. Alltagsdinge, die wir zwischen Tür und Angel unachtsam ins Leben rotzen, bekommen hier einen zeremoniellen Touch und werden zur erfüllenden Tagesaufgabe. Ich werde ruhig und stelle fest, dass ich die kurze Chance bekomme umzudenken: warum bin ich eigentlich gestresst, nur weil ich grad mal ohne Geld hier stehe. In meiner Welt bedeutet das ausgeliefert sein, ausgegrenzt vom gesellschaftlichen Leben vom Überleben. Die Jungs hier fragen nicht nach ATM, oder ob sie heute abend Yaksteak oder Nudelsuppe essen, Sie leben in den Tag und was sie haben teilen sie...
… ich bekomm die Gestopfte gereicht.
Ich reiß die Augen auf: „For me??? - Why do you know?“
Ein seitliches Kopf schief legen, ein Lächeln und ein gereichtes Feuerzeug und während ich genüsslich den ersten Zug nehme und das erste „Danke“ gen Himmel schicke stopfen die Beiden sich ihre Tonpfeife und rauchen mit.
...teilen. Mir geht Sankt Martin durch den Kopf.
Der Chai ist fertig. Genüsslich spült der Junge die Metallbecher während der Alte noch ein paar Kräuter pflückt, die vor der Hütte zwischen den Steinen wuchern und sie mit in den Topf schmeißt. Zucker. „Mmmmmmmmm“, und das liegt nicht an meiner Situation. Das ist mal ein Tee, der mit Liebe und Geschmack zubereitet ist. Würzig, aromatisch, nicht übersüßt und ohne Milch. Ein Traum. Ein zweites „Danke“ fliegt gen Himmel.
Aber nach dem Tee möchte ich mich gerne verabschieden. Ich ahne, dass das Essen aufgetischt wird, aber ich möchte ungern den armen Kerlen ihre Mahlzeit wegessen. So schlimm steht es um mich dann doch nicht und es ist mir äußerst unangenehm mich nicht revangieren zu können. Ich stehe auf, sortiere meine Sachen und erkläre, dass ich jetzt gehe.
„No! Rice finish.“
Jaja – und das duftet und ich würd ja gerne...“Oh, I don´t want to eat your dinner – You need it.“
„No no. Sit down.“ Es werden drei Teller gespült.
Ich gaub ich muss jetzt da durch und irgendwie will ich ja auch. Der Reis ist dunkel gelb, duftet nach angebratenen Zwiebeln und vielen Gewürzen, dampft heiß gegen den kalten blauen Himmel und verspricht eine Wohltat zu werden.
Ein Berg dieser Wunderspeise wandert mir entgegen, davon werd ich bis übermorgen satt.
„Eat!“, und da ich ja jetzt weiß, dass der Gast beginnen muss, lass ich mir das nicht zweimal sagen. Und der schmeckt!!! Ich bemühe mich nicht zu schaufeln und zu schlingen, was schwer fällt bei dem Hunger, dem Genuss und vor allem der Kälte, die viel zu schnell in die Speise dringt. Ich muss an Lakki in Varanasi denken, er wirkte wie ich jetzt fühle und ich genieße jeden Bissen. Ohne Übertreibung ist dies die schmackafteste Nahrung, die ich bisher Nepal bekommen habe.
Drittes Danke nach oben.
sonnenaufgang muktinath
Sankt Martin Modus umgedreht: Da steh ich mit teuer Spiegeleflexkamera, GPS und Multifunktionsklamotten und werd von vier Plastikkarten einfach nicht satt. Aber die Zwei hier, am Rande der Gesellschaft existierend, überleben hier oben grad besser als ich.
„It´s crazy...“, beginne ich, „I dont have money...“, ihre Blicke wandern zu mir „... right now“, füge ich schnell hinzu bevor ich als Idiot abgestemelt werde.
„People told me...“, ob die soviel Englisch können, um meine Monolog jetzt verstehen? Ich versuche einfache Worte zu nutzen und sie hören mir tatsächlich zu: „there is an ATM in Muktinath“ Viele Schlagworte, um die Zuhörer am Ball zu halten: „But there is NO ATM in MUKTUNATH!“
„No, no ATM here – Jomsom ATM.“
Aha! Sie haben also mich verstanden und wissen wo der nächste ATM ist. Da kann ich ja noch einen drauflegen um endlich mein Pfund Mitgefühl zu bekommen aber vor allem, um meine unendliche Dankbarkeit auszudrücken.
„I came to MUKTINATH with NO MONEY“, ich betone die Schlüsselwörter: „but there is NO ATM and so I have NO FOOD. But you helped me and gave me food.“ Meine Schüler hätten an der Stelle schon aufgegeben, weil sie die Vergangenheitsform nicht erkannt hätten, aber ich seh noch in wache Augen „I am really HAPPY to meet you.“
Die Gesichter strahlen.
Ich mach weiter:
„Look. You have nothing but a house with snowwater inside.“ Sie lachen – sie verstehen.
„I have my motorbike, my camera, my creditcard, I´m travelling... But now it changed..“, sicherheitshalber lasse ich die Hände mitarbeiten: „You have food and you helped me, and I have nothing“ Ich leg die Hände aneinander, so wie die Hindus grüßen und danken: „Thanks god...“, der muss jetzt mit ins Spiel gebracht werden, denn so funktioniert Völkerverständigung und Religinsfreiheit in den Köpfen „..thanks god, that I met you and thank you for the dinner.“
Nach einer Weile gehe ich aber wirklich, denn meine Freunde lassen mich weder beim Spülen helfen - das hätte ich auch falsch gemacht, denn sie spülen mit Wasser und mit Asche, noch bei Aufräumarbeiten mitmischen und als die Sonne verschwindet wird es richtig kalt. Ich hatte vergessen, dass ich auf 3800 Metern bin.
Im Hotel verkrümel ich mich mit einer glücklichen Erfarung und einer Kanne Gingertee ins Bett. Unter mir im Resto läuft Bob Marley und es wird gefeiert. Und in dem Moment könnt ich dann doch kotzen: Manchmal läuft das Leben einfach neben der , eigenen Vorstellung her.
Am nächsten Morgen kotz ich dann wirklich fast: Der Kellner empfielt mir Porridge: „It´s cheap and gives Power.“ Nagut – einmal Antifrühstück. Mir wird schon vom Namen schlecht, und noch nicht mal meine Gourmetvariante mit Zucker und Salz und einer Orange macht den schleimigen Brei erträglich. Ich schwöre bei allem, was mir schmeckt: das ess ich nie wieder. Und ich geh nie wieder mit zu weig Geld aus dem Haus.
Dafür werde ich mit einem der schönsten Abstiege und mit einmaligen Aussichten in die Wüste Nepals belohnt. In dem Moment spüre ich wieder Freude und weiß, dass sich der Weg gelohnt hat.
Der zweite ATM in Jomsom fuktioniert! Ich bleib noch eine Nacht und treffe Leute zum Feiern, übrigends die, die gestern unter mir saßen und fliege am nächsten morgen mit einer neuen Freundin nach Pokhara.
Ein Ausflug in die Wüste – nicht nur in die Nepals.

SchraubelockeR

bilder....
Varanasi empfängt mich mit Verkehrschaos, wie es normal ist für acht Uhr abends in der  Dunkelheit. In Indien erwachen die Städte dann erst so richtig. Und ich, immerhin seit drei Monaten in diesem Chaostreiben gefangen, schaffe es immer wieder den allabendlichen Blechlawinenamok mit meiner Ankunft zu unterstützen. Varanasi hat aber zudem noch gepflasterte Hauptstraßen zu bieten, deren Pflastersteine abwechslungsreich immer mal über mehrere Meter ausgebrochen, mit Sand oder Teerbrocken vermischt eine fahrerische Herausforderung ergeben.
Ich könnt kotzen.
Stattdessen halte ich aber erstmal am Rand, atme einmal tief Nikotin ein und üblicherweise müsste jetzt mindestens ein hilfsbereiter Inder auf mich zugelaufen kommen.... aaah, da isser.
„You looking for Mam?“
...vom wegesrand...
Aha – der Sprache leidlich mächtig ist dies bestimmt einer dieser Hotel-Schlepper. Ich zücke meinen Reiseführer, fest willens mich nicht abschleppen zu lassen: „Please...show me, where I am.“
Er erklärt mir den Plan, meinen Standort und zeigt mir den Weg in die Altstadt, warnt mich noch vor den Gassen und...
„You want to go...?“, der Bärtige bleibt hartnäckig, aber ich bin gewappnet, will ich ja schließlich den Weg finden und zeige auf das billigste Guesthouse, was ich bereits markiert hatte.
...sind schöner...

„Oh no no no...“, auch darauf bin ich vorbereitet, jetzt kommt die Story, dass das Hotel abgebrannt ist. „...you can´t go there with the bike. Too small the road.“ Darauf bin ich nicht vorbereitet. Vielleicht hat er ja recht. Ich grübel.
„I show you a guesthouse“, unterbricht er mich beim Denken.
„I dont want to pay too much. I´ll find one.“
„No no no no expensive. Give me 100 Rupie and I´ll show you three, you can choose.
Eigentich eine gute Sache, aber ich bin jetzt auf meinem `das mach ich alleine trip´ und winke daher ab.
„First I look for my guesthose, thank U“, und ich packe ein.
Aber irgendwie hat er recht. Ich lass mich immer gern zu einem Hotel bringen indem ich einer Rikshaw hinterherfahre. Das ist das entspannteste. Was hab ich heute? Ich sitze seit knapp 13 Stunden auf der Dicken und muss nun wirklich nicht mir selbst gegenüber eine dämliche Sturheit an den Tag legen.
...als verkehrschaos!
„Ok“,ich dreh mich wieder zu dem ´Ab´-Schlepper, „show me our guesthouses, I give you the 100 Rupie“, ich feilsche noch nicht mal mehr.
„200“
„HÄÄÄÄ???“
„I don´t show U“
„Du hast den Arsch auf!“, kann ich leider nicht auf Englisch – ich werd´s demnächst mal googeln, das flucht sich bestimmt herrlich, aber ich versuche die Botschaft mit meinem Blick rüber zu bringen, schwing mich in den Sattel und gebe Gas. Vollgas!! Das ist kindisch, tut mir aber gut. So. Ich bild mir ein ich übertrage die Verachtung, die ich spüre.
Die ham ne Schraube locker – der Tourismus hat die Leute versaut.

Ich muss in den Gegenverkehr, das hab ich immerhin noch rausbekommen und ich schwitze schon bei dem Gedanken daran. Jede Richtung ist ein mehrspuriges Gewimmel aus hupenden, drängelnden Mofas, Rikshaws, Taxis, Händlerkarren und anderem Kleinvieh. Die Fahrbahnen sind immerhin durch eine mittlere Plastikbarrikade in ihre Richtung gewiesen. Diese Barrikade weist allerdings immer hilfreiche Lücken auf, durch die sich alles drängt, was die Spur wechseln möchte, ohne bis zum nächsten offiziellen U-Turn zu fahren. An den Stellen ist dann das Chaos perfekt, weil man von der schnellen Überholspur in kürzester Zeit auf Stand runterbremsen muss, um dann sofort aus dem Stand in einer 180 Grad Kehre auf der Überholspur des Gegenverkehrs zu landen.
Indien Roulette.
Aber es klappt.
Fast. Irgendwas blockiert meinen Lenkereinschlag. Ich krieg die Kurve nicht, so wie ich will. Lenken – lenken – ich taumel, ich schwitze noch mehr... und ich kreuze alle drei Spuren und schaff es mit Ach und Krach nicht in die parkenden Rikshaws zu lenken, weil die anderen aufgepasst haben und sich wie Wsser um Öl zur Seite gewunden haben, um sich anschließend wieder hinter mir zu schließen und mich in den Flow aufzunehmen. Ich atme auf. Danke. Jetzt bloß nicht halten und wieder den Verkehr irritieren. Das hat geklappt und ich grübel. Ich hatte das gleiche Problem vor ein paar Stunden, als ich rechts rum vor dem Obststand über die Straße gewendet habe. Da dachte ich zuerst, jemand hält mich fest...
Jetzt wird aber nicht gedacht, ich beschließe einfach enge Kurven und Gassen zu vermeiden. Pah. Und so halte gerade vor den nächsten jung und unschuldig aussehenden Männern in Uniform. „Studenten im Pulk“, denke ich, „werden keine Hotelschlepper sein“ und ich hab recht. Sie erklären ausführlich und schicken mich weiter in Richtung Guesthouseviertel.
Geht doch.
Mein nächster Stopp ist bei einem Ladenbesitzer – er kann auch kein Schlepper sein. Ich warten geduldig, bis er seine Arbeitsplatte mit Sekundenkleber auf den Unterschränken für die Ewigkeit fixiert hat, um eine commissionfreie Auskunft zu bekommen.
Geht doch.
Und dann kommt der Kreisverkehr. Rechts sagte er, aber rechts ist nun wirklich eine sehr kleine Gasse. Ich stoppe mitten im Kreisverkehr. Der große Typ wirkt etwas desorientiert und dämlich, aber ist der einzige, den ich mit einer Vollbremsung im Kreisverkehr erreichen kann. Und der ist bestimmt auch kein Schlepper, hier umkreist von vier Spuren hupender Blechlawine.
Geht bestimmt auch.
„Where is the area with the guesthouses please. Straight or right“
„Follow. I show you.“
Schlepper??
„No no no, I dont want to pay. I just want to know.“
„No pay. I go there, I live there. But drive slow, I have to walk.“
Und schon hab ich irgendwie unterschrieben.
Er geht rechts. Und links und links und rechts und..... irgendwann ist er zu Fuß doppelt so schnell wie ich. Die Gassen sind eng - sehr eng und mir vergeht der Spaß. Gottseidank ist der Boden ist an den Seiten abfallend, damit die Gülle besser abfließt, das bringt Abwechslung beim Bremsen, weil ich den Boden mit den Füßen kaum noch erreiche. Zudem liegen die Seiten voll Unrat vom Tagesgeschäft und es mischen sich verwesende Gemüseabfälle mit Kuhdung zu einer schmierigen Paste auf der ich ausrutsche, wenn ich dann doch mal den Boden erreiche. Zwischendrin liegen Plastiktüten die als Fußangeln dienen. Eine spannende neue Erfahrung für die letzten Tage in Indien. Aber schnell merke ich, dass ein Wegrutschen der Fuhre auch egal wäre, denn die eng stehenden Wände fangen mich an den Seitenkoffern auf. Indish Roulette – einen Tod musst du sterben.
Der hat nicht nur ne Schraube locker – der spinnt komplett.
„Hey Sir!“, er ist kaum noch auszumachen zwischen dem Fußvolk, aber er bleibt stehn, „What the fuck is that? I cant go there.“
„No problem. You can. Only two Minutes.“
Er dreht sich um und geht und ich gebe Gas. Vorsichtig. Ausweichen, Loch. Füßeln. Kuhscheiße.
Ich rutsch aus, aber alles `no problem`, die Koffer knallen gegen die Hauswand und halten mich fest.
„Bullshit“, brülle ich ihn an aber er ist schon wieder zu weit vor und mir kommen die gleich die Tränen. Noch nicht mal ein Ziel für meine Wut ist in akustischer Reichweite. Nach dreizehn Stunden Fahrt, die letzten Stunden über SchrottKackDrecksWege hab ich das echt nicht verdient.
„Fuck“ und nochmal. Fluchen tut gut und ich zeige auf ein Rad, das mir den Weg versperrt.
Der ist nicht nur ein Schlepper, der ist wahnsinnig. Und in meiner Phantasie sehe ich den Wahn auch schon aus seinen Augen sprühen, als er ohne die Miene zu verziehen ein Rad auf eine Fensterbank heben lässt, damit ich passieren kann.
Hier dreh ich nicht einfach um! Nein, hier bin ich gefangen im Irrgarten von Varanasis Altstadt einen Irren als Wegweiser in den Untergang. Wahrscheinlich erst zum Ausraub- und dann direkt zum Verbrennungsghat.
Die Passanten betrachten mich zwischen Verachtung und Belustigung, ich versuche zu lächeln aber innerlich fluche ich über meine Naivität in letzter Sekunde. Einzelne hüpfen schnell in Hauseingänge, wenn ich komme, Kinder werden zur Seite gerissen, ein Roller verschoben.
„What the hell is going on! Two minutes are gone!“, ich kill den Typ, wenn wir da sind. Meine Arme schmerzen, sie fühlen sich an, wie nach Stunden Endurorennen, meine Beine zittern, denn Anspannung gegen das Ausrutschen auf Scheiße ist zur Standardübung geworden.
„No problem, one minute.“
Ich hasse ihn.
Als ob ich dieses Hotel, wo immer ich auch lande, heute nochmal verlasse! Die Masche ist gut und ich kleb dran wie eine Fliege am Fänger, zappelnd, fluchend aber total hilflos. Wissend, ich bin dem Schicksal ausgeliefert.
von meinem balkon
Ein Hof. Mitten in diesem Gewimmel von Gassen öffnet sich ein Tor. Mit lachenden Gesichtern werde ich begrüßt. Ein Dutzend helfende Hände sind parat die parkenden Mopeds eifrig zur Seite zu stellen, vor Kopf ist der Eingang eines Tempels – Heiligkeit kann nicht schaden bei meiner Laune, links der Hoteleingang, sauber, beleuchtet, mit Blumen davor, der Manager kommt mir entgegen, als hätte er nur auf mich gewartet... Das war also das Telefonat eben...
Ich vergesse zu schimpfen, so willkommen fühl ich mich. Vielleicht ist es aber auch nur das Glück angekommen zu sein. Ich handel den Preis zwar noch etwas runter, aber wir wissen beide, dass ich meinen Arsch hier und heute nicht mehr wegbewege, zumal meine Argusaugen die erste saubere Bettwäsche in Indien erspäht haben.
Luft holen!
Ich esse im Hotel und setze keinen Fuß mehr vor die Tür. Heute schleppt mich hier keiner mehr ab und morgen hab ich dann weder Energie mich zu wehren.

zum glück gibts am ganges nicht nur schlepper..
„Coffee – Chai“
Ich bin am morgen fünf Meter aus dem Hotel raus. „No, thanx“
„Boattrip - very cheap“
Ich bin zehn Meter gegangen und noch nicht unten am Ganges. „No, thanx“
„Boattrip – very cheap“
Ancheinend ist Boattrip hier der Tourirenner. Muss ich das machen? „No, thanx“
„Boattrip – very cheap“
„F***no thanx!!!“
„Boattrip – only 100 Rupies for you. Alone madam?“
...sondern auch wartende...
„Fu***“ Ich wende den Kopf und schau in ein etwas trauriges Lächeln. Hundert Rupies für eine Stunde allein ohne eine Horde Knipssüchtiger Touristen – ich werde wach. Wir tauschen ein paar Worte, ich mach ein Foto von dem Jungen, damit ich ihn in der unüberschaubare Masse an Boat-Trip-Anbietern am Abend auch wiederfinde und ich bummel weiter.

...die tiefenentspannten...

...die frustrierten...
Meine Laune bessert sich nur schleppend, denn eine erschreckende Menge an Menschen stürzt auf mich ein und bietet Dienstleistungen an. Das fängt bei Boattrips an, geht über Massage und Handlesen bis hin zu Tourguides und Fotografen. Dazwischen all die Händler mit Ketten, Schals und Räucherstäbchen. Wie viele Trickberüger dazwischen sind kann ich nicht beurteilen, aber der „volunteer“ am Verbrennungsghat hat mir Geld entlockt, ein netter junger Mann, der mich eine Stunde begleitet und sogar zum Tee eingeladen hat, wollte mir am Schluss Ayuverda andrehen, der Kellner erschnorrt sich sein Trinkgeld in Zigarettenform und mit meinem Bootfahrer bin ich abends noch so aneinandergeraten, dass er die Länge der Tour nahezu verdoppelt und mich noch zum Spaghetti auf dem Kahn eingeladen hat.

...die beschäftigten...
Daher beschließe ich am nächsten Morgen ganz einfach nur den Fehler beim Lenkereinschlag an meinem Moped zu suchen. Ich mit ein paar Schrauben allein...herrlich...
… aber eine Utopie. Die Hotelbelegschaft schaut zu, einige Anwohner und ein paar Zaungäste hab ich auch. Immerhin wollen die keine Kohle von mir. Und der Stärkste von allen, den ich mit einem bestimmenden Lächeln dazu überredet habe mein Moped hinten zu belasten, will hoffentlich auch kein Bakshish.
Ich schraube die Plastiks ab, und die Zuschauer kommen fasziniert näher.
...die musischen...
Aber das Lenkerstoppen ist kein loses Plastikteil. Ich suche ratlos. Drehe den Lenker hin und her, fachsimpel mit dem kleinwüchsigen, stotternden Hotelmanager, der mir versucht mit Mopedgeschichten seiner wilden jungen Jahre zu imponieren, während ich Ursachenforschung am Moped betreibe und Dickbauch stetig das Hinterrad belastet.
Da.
Nicht nur die Schlepper haben hier eine Schraube locker
Ich seh sie genau: eine von den zwei Schrauben von der Cocpithalterung hat sich losvibriert und ist auf die Gabelbrücke gefallen, wo sie nun lustig eingeklemmt rumhopst und beim Lenkereinschlag eine Blockade bildet.
Das ist doch in Sekunden erledigt...
...denke ich,...
…aber ich krieg das Miststück nicht raus.
...die meditierenden...
Mein Hinterradballast hat sich verabschiedet, der Manager hat sich in die hintere Reihe zurückgezogen und die Belegschaft ist auch urplötzlich unpässlich.
Da isses wieder: Maul aufreißen und wenn´s drauf ankommt Schwanz ...
Ich reiß die Augen auf ... knarrend öffnet sich das Gatter zum Hof und ganz langsam und zögerlich schreitet ein junger Bursche mit seinen Freunden im Schlepptau zu mir. Ich komm mir vor wie in einem Western: die Musik dreht dramatisch auf, die Bande schreitet bedächtig mit großen Schritten und Händen in der Tasche auf einen zu, und wenn die Kamera auf den Blick des Alphatierchens lenkt, weiß der Zuschauer, ob der Killer oder der Retter kommt.
..ob er mal schauen dürfe....
???...???
...oder die arbeitenden.
Normalerweise wird direkt haptischer Kontakt zu den verführerischen Knöpfen der Armatur aufgenommen. Der hier fragt höflich - Anscheinend kommt der Retter.
Mein Blick wandert zum Hotelmanager, der mich jetzt schon zweimal vor zu engem Kontakt zu Local-People gewarnt hat. Er sieht definitiv den Killer kommen, ich merks genau, kümmer mich aber nicht.
Und während ich meinem Retter das Problem erkläre und seine Kumpel beteuern, dass er ein echt guter Mechaniker ist, fischt er schon die Schraube heraus.
Ich freu mich, seh aber direkt das nächste Problem, weil mir genau dieser Thorx-Schlüssel schon seit Monaten fehlt. Wie oft hab ich nach dem Werkzeug gesucht, war aber nie bereit, den ganzen Satz zu kaufen. Wegen dieser Schraube war ich in Pune in einer Werkstatt und die Schwächlinge konnten die Schraube mit nem Schlagschrauber nicht fest genug anziehen. Pune ist erst 2000 km her.
Aber mein neuer Freund, Lakki, hat natürlich eine Werkstatt, in die er mich entführt. Schlepper! Geldmacher. Ich zöger zwar, seh aber andererseits eine reelle Chance auf Erfolg und zieh mit meinem jungen Cowboy ab.
Sein Freund in der Werkstatt hat dieses Tool nicht, aber einen Scooter, mit dem mich Lakki durch halb Varanasi fährt, einfach so. Ich verspreche ihm vom Soziussitz aus, dass ich ihm den Sprit für meine die Tour zahle, aber er winkt nur ab. Immer weiter geht es, bis wir jemanden aus dem Schlaf wecken, der mir tatsächlich -wohl noch in Trance- ein Einzelstück verkauft.
Ich fühle Dankbarkeit in mir aufsteigen. Bescheidenheit bei einem Inder in Varanasi? Kaum zu glauben.
Und Hunger spüre ich auch - schließlich ist es mittlerweile drei Uhr.
Mein Schraubenengel fährt mich in eine Dharba und bestellt Thali – für mich.
„You don´t like – I invite you.“ füge ich noch hinzu.
„No thanx.“ Meine Standardantwort bescheiden aus seinem Mund.
Ich hasse es allein zu essen und geh posthum zum Kellner und bestell Thali – für ihn.
und endilch ein bild, was zum text passt
Fünfzig Cent für ein Gericht. Wenn er es wegschmeißt – soll er.
„You already had lunch?“, frage ich ihn.
„No.“
„But a big breakfast?“
„Just milk madam.“
„F..., why don´t you want to eat?“
Schulterzucken.
Er haut rein. Er schaufelt. Und er bestellt nach, und nach (das ist im Preis inbegriffen).
Welche Welt ist das hier. Nach zwei Tagen, an denen jede Begegnung mit latenter Abzocke verbunden ist, dieser bescheidene Kerl.
Ich erfahre, dass er eigentlich Boottouren für seinen Onkel fährt um seine Familie zu unterstützen, dass sein Onkel ein Halsabschneider ist und dass er um vier wieder arbeiten muss.
Also los.
Aber unterwegs möchte er mir noch sein zuhause zeigen. Es liegt fast neben meinem Luxushotel auf dem Weg zum Bootsanleger. Wir biegen in ein kleine enge Gasse. Menschen hocken auf Mauern und Stufen und schauen mich merkwürdig an. Links geht es an einer Häuserwand Stufen hinunter.
„It´s small.“
„Ok.“
Ein eiserner Türrahmen steht offen, die Türwand ist lediglich rostiger Kaninchendraht. Ich schau hinein.
„It´s very small.“ Irgendwie muss er das nochmal loswerden.
„I dont mind.“
Der Raum ist vielleicht zehn Quadratmeter groß, hat kein Fenster, kein Licht, und zig Töpfe stehen an einer Wand aufgestapelt. Die gegenüberliegenden Wand kann ich wegen der Dunkelheit schon nicht mehr erkennen. Auf dem Boden sitzt ein Jugendlicher und näht.
„My brother“, erklärt er.
Wie kann der hier nur was sehen?
„How many people live here?“
„Fife, my parents, my brother, my sister and me.
„?????? - Where do you sleep?“ - und ich muss an mein Meckern über dreckige Bettwäsche, schimmelige Wände, Klo aufm Flur und Preise über zwei Euro denken?
„Inside.“
OMG - Ich bin entsetzt, wie nah hier arm und reich nebeneinander leben. Gestern habe ich mit einem anderen Zwanzigjährigen abgehangen, der mich zum Tee eingeladen hat und erzählte, das seine Eltern ein Haus mit dreizehn Zimmern bewohnen – auch direkt hier um die Ecke.
so hab ich mich gefühlt: sprachlos
„Wait!“, auf dem Weg zum Bootsanleger stoppe ich ihn in einem Torbogen. Ich weiß mittlerweile, dass Agenten der Touristenpolizei überall unterwegs sind und entweder Schmiergelder kassieren oder sie anschwärzen, sobald sie sehen, dass Fremde den Einheimischen Geld geben. Das bedeutet nämlich, dass sie unter der Hand als Guides arbeiten. Außerdem will ich nicht, dass sein Onkel uns sieht. Die Rupies hab ich bereits in der Hand.
„I want to pay the petrol.“
„No thanx“
Idiot!!
„I don´t pay for your help. I pay the petrol.“ Ich hasse es, mich zu wiederholen. „Help comes from the heart, I know. But petrol from the station.“ Ich versuche es weiter, aber er wedelt ab und geht einfach.
„I give it to you mother!“ mein letzter Versuch.
Aber ich hab die Gasse nicht mehr gefunden.
Ich hab ihn auch abends nicht am Bootssteg getroffen, obwohl ich mehrfach nach ihm gesucht hab und wir grob für sieben verabredet waren.
Ich hab ihn auch am nächsten morgen nicht an dem Shop gesehen, an dem er angeblich immer ab fünf Uhr morgens sitzt.
Ich hab ihn auch um sieben Uhr morgens nicht am Bootssteg gesehen, wo er auf seine ersten Kunden wartet.
Aber in meine Herzen seh ich ihn noch als den, der die Ehre Varanasis hochgehalten hat. Einer, der keine Schraube locker hat.