Der Morgen begrüßt mich
mit einer Sms meines Maori-Couchhosters, dass er meine Nachricht
grade erst bekommen hat. Dreifach-Anti-Jubel, jetzt spielt auch noch
die deutsche Telekom gegen mich und hat das 1:0 geschossen. Er ist
untröstlich, läd mich zum Kaffee und zum Duschen ein, aber ich
lehne ab, schließlich will ich den 11km-Guten-Morgen-Wandertreck
begehen und mit ihm über Kultur und sein Leben reden und nicht nur
kurz vorbeischneien. Meine Missmutigkeit hat sich nicht nicht gelegt.
Aber die
Dschungelathmoshäre mit gigantischen Farnbäumen, Palmen, Heidekraut
und riesigen Grasblüten vertreibt meine miese Stimmung. Auf
Schautafeln werden einige Nutzpflanzen der Maori erklärt, was mir
endlich einen kleinen Einblick in die fast verlorene Kultur bietet
und laufe muter drauflos, picknicke mein Früchstück an einem
sonnien Fleckchen und nach einem Coffee to go (das erste, was ich in
dem Land sofort lieben gelernt habe - bis auf den Preis natürlich).
Die Idee fühlt sich gut an.
Also simse ich mein
frisch gefundenes Originalexemplar erneut an und lade mich frech für
heute Abend ein.
Meine Laune ist prima,
ich bewaffne mich mit Optimismus und beschreite den Weg der alten
Kultur.
Erst suche ich heiße
Quellen. Überall locken gepimpte Bilder und riesige Werbebanner mit
Spa-Angeboten aber ich will ungefiltere, kostenlose Ehrlichkeit, also
beleibt mir nichts anderes übrig, als dem kleinen Fluss zu folgen.
Ha! Ich find sie tatächlich, In der ersten könnte ich Eier im
Turbogang kochen –
120 Grad lese ich später, aber etwas weiter
läuft heiße Schwefel Thermalwasser in das kalte Wasser und ich
definier dies als Kiki´s Badewanne.
OOOOps... Ich weiche
zurück. Schon beim Hineingehen werden meine Füße heiß, weil die
Erde glüht.
Aha! Weißes Gestein ist
offenbar heiß, ockerfarbenes ist betretbar. Das hätte leider zur
Folge, dass ich nur im kalten Wasser liegen könnte, denn da wo es
warm wird, ist es so flach, dass ich mir sofort den Arsch verbrenne.
In mir steigen Vermutungen auf, warum die Leute Eintritt für
aufbereitete Badeanstalten zahlen. Aber ich lass mich nicht
weichkochen, vielleicht siegt Not über Tugend, also mein Geiz über
das Bedürfnis nach Authentizität, aber ich leg mich ins Wasser.
Hoppla: ich unterkühl mir meinen Allerwertesten, kratz mir durch die
Strömung die Schiebenbeine auf und verbrenn mir die Finger beim
Festhalten an dem heißen Gestein. Durchatmen, schade dass keiner ein
Foto machen kann und schnell wieder raus. Ich verbrenn mir nochmal
die Füße auf weißem Gestein -nicht aufgepasst-, stinke
fürchterlich nach hoffentlich sehr gesundem Schwefel und bemerke,
dass mein Silberschmuck pechschwarz angelaufen ist. Drauf geschissen
- ich war drin!
Anschließend besuche ich
Whakarewarewa, die Thermal Village, in der heute noch Maori auf dem
heißen Grund leben und die Hitze nicht nur zum Kochen, sondern auch
für Heilbäder und als Touristenattraktion nutzen. Natürliche
Recaurcen? Ehrlich? Ich hab zwei Anläufe gebraucht um dieses
Zurschaustellen mitzumachen. Aber erstens verdienen die Maori auf
diese Art seit Einzug der Touris im achtzehnten Jahrhundert ihr Geld,
zweitens will ich ja auch was erfahren und drittens will ich die
Geysiere sehen. Oh ihr geldgierigen Tourischlepper – Fünfzig
Dollar Eintritt für ein paar Spuckede Erdlöcher. Ich beschwer mich
darüber spaßeshalber aber auch ehrlich frustriert bei einem Wärter,
der mir posthum hinterher geschlichen kommt und hinter vorgehaltener
Hand erklärt: „Go to the Thermal village, it´s cheaper, and you
see the same.“
Ich schau ihn mit meinem
Maoriblick an.
“Not so near, but...“
er verdreht vielversprechend die Augen.
Ich verdrehe auch die
Augen und glaube zu verstehen: Gibt’s hier eine Möglichkeit auf
Grenzüberschreitung?
Also bummel ich kurz
darauf durch das Thermal-Dörfchen, was immerhin ein normales,
bewohntes Dorf ist und bereits vor dem Einzug der Europäer
entstanden ist und ich bin wirklich begeistert von den brodelnden
Quellen und darauf gebauten Öfen.
Ich zieh mir die liebenswerte
Kutlurveranstaltung mit Songs und Tänzen und Mitmachmaorigebrüll
rein (gut dass jetzt keiner ein Foto von mir machen kann), schlender
bei wieder aufkommendem Regen noch über die kurzen Rundwanderwege
und habe permanent das Augenzwinkern des Wächters im Hinterkopf.
Mist der erste Übergang
zum Nachbarmuseum ist mit drei Männern besetzt. Schlender-schlender,
der zweite sieht gut aus: um den Zaun gewunden, durch Gestrüpp und
Gräser, um einen zweiten Zaun an einem kleinen Abhang gehangelt,
durch eine Absperrung und ich bin drin. Pfeif ein munter Liedchen -
geht doch.
Ein Wächter schaut mich
kurz darauf prüfend und grimmig an. Ganz genau spür ich ein
schlechtes Gewissen in der Magengegend entstehen, aber bevor es sich
breit macht und mir Unsicherheit aus den Augen leuchtet, drück ich
ihm meine Kamera in die Hand, lächel freundlich und bitte ihn ein
Foto von mir vor den Geysieren zu machen. PUH. Danach lächelt er
auch und ich schleich mich von dannen. Leider wurde grad ein Bus
neugieriger und zahlender Menschen entladen, die für ihren Eintritt
auch das letzte Eckchen begehen müssen. Wie Lemmige ziehen sie zu
meinem Geheimübergang und ich muss nun wirklich bummeln, mache
überflüssige Fotos um Zeit zu schinden, schau hochinteressiert
fürchterlich langweilige Gesteine an und unglaublich..., ich hab das
Gefühl die Blödmänner denken glatt hier ist was Spannendes und
machen noch langsamer. Aber gut Ding will Weile. Ich schaff meinen
Weg zurück und verspeise noch ein Gemüse-Fleisch-Gericht, was wohl
in einem der natürlichen Dampfkessel zubereitet worden ist.
Es folgt ein Besuch im
alten Badehaus, was als Museum eingerichtet ist weitere Wissenslücken
über die Kultur, die Region und die Entstehung des Tourismus
schlißet. Ein Nickerchen und anschließender Spaziergang entlang des
Rotorua-Sees, den Flüsse mit Sulfat speisen und das Wasser in eine
milchg-weiße verwunschene Farbe verwandeln gibt der geschmackosen
Kleinstadt einen charismatischen Touch. Überall am Strand brodelt
es, wabbert der Matsch in Löchern und das Gestein ist weiß-grün
verfärbt.
Um kurz nach sechs steh
ich vor der Haustür, seine Tochter holt mich an der Pforte ab und
mich empfängt das fröhlichste Lachen, seit ich im Land bin. Er
nimmt mich in den Arm, als wären wir alte Freunde, erklärt mich
schnell die einzige Hausregel: „My home is your home“, und hält
mir eine Flasche Bier entgegen.
Aaaahhh – kein Problem
mit der Regel. Ich fühl mich direkt zu Hause.
Sein Haus ist winzig, und
unaufgeräumt. Auf dem Tisch stapeln sich Aktenordner (er ist
Richter, da hat man viele Akten), auf der Anrichte zur Küche der
Einkauf (er hat vorgesorgt) und Krimskrams. Die abgenutzte orangene
Sofaecke dominiert das gesamte Wohnzimmer ein, dass man sich
drumherumschlängeln muss und wird nur von dem Flachbildschirm
übertoffen. Sowohl das in die Jahre gekommene Mobiliar, als auch
abgetretene eine Grundreinigungvertragende Fußboden strahlen eine
sympathische Athmosphäre vom Junggesellen aus. Seine Tochter passt
in das Bild, sie übt noch das modische Outfit ihren Körperrundungen
anzupassen und sie strahlt über das ganze Gesicht. Alles ist gut.
Keine falsche Attitüde, einfache Ehrlichkeit.
Schnell stellt er sich
drauf ein langsamer zu sprechen, klärt kurz ab, dass ich entweder
mit seiner Tochter und der Cousine im Kinderzimmer oder auf der Couch
schlafen kann und stellt mich dann vor die Wahl, Gemüse oder Fleisch
zu zubereiten. Das geht schnell und er weiß, was er will. Aber ich
bin dankbar für diese Offenheit, wir quatschen viel und ich erfahre,
dass er zweiundzwanzig Geschwister hat und selber fünf Kinder von
vier Frauen. Bei Familienfeiern muss halb Neuseeland zusammenkommen.
Er erzählt von einer Maoriinsel, auf der sich üersinnliche Dinge
und plötzliche Heilungen ergeben haben, er erklärt, dass kinderlose
Ehepaare einfach ein paar Kinder von denen abbegommen, die der
Kindersegen heimgesucht hat und er läd mich für den Morgen in eine
Maorieigene heiße Quelle ein, in der Touristen verboten sind.
Und endlich endlich
eröffnet sich mir ein Bild von einer bestehenden langjährigen
Kultur, die auf Spiritualität, Natur und Familie gegründet ist und
nicht auf Abziehbildern einer materiellen, westlichen
Oberflächlichkeit, die bei der Shoppingmall um die Ecke anfängt,
gerade noch für adrenalinpumpende Schwachsinnsactionen
stellvertretend als Lebensbeweis, bis zum hauseigenen Elektrogrill
reicht.
Als wir mit kochen fertig
sind, finden sich plötzlich noch drei weitere Gäste ein, seine
Nichte und zwei Cousinen aus Australien, die sofort mit um den
Wohnzimmertisch Platz nehmen. Die Couches reichen nicht aus, aber das
stört keinen, denn man kann eng zusammenrücken und den Boden
benutzen. Wir plaudern munter, trinken meinen mitgebrachten Wein und
alles ist easy.
Später wälzen wir sein
Hostbuch und ich stelle fest, dass ich ungefähr der 270ste
Couchsurfer in drei Jahren bin. Seine Lebensaufgabe scheint
Gastfrendschaft und das verbreiten seiner Kultur zu sein. „I´m a
lucky man“, betont er immer wieder. „My very best friend...“
das sagt er zu jedem zweiten Bild – diesmal: „from Korea“. Er
hat die halbe Welt bei sich zu Hause gehabt. Jede Person mit ihrer
eigenen Story, ihrer eigenen Geschichte ihrem eigenen Typ.
„I´m a lucky man“,
höre ich an diesem Abend noch häufiger.
Der nächste Morgen
startet um halb sechs.
Ich bin gespannt, auf was
ich mich da bei diesem Kerl eingelassen hab. Mindestens die Hälfte
der Couchsurfer lächeln auf Bildern aus diesem Bad in die Linse. Was
denken wohl seine Lebensgenossen, wenn Jacko jede Woche ein anderes
Gesicht hier hin schleppt. Ha, was sollen sie denken, mich kennt hier
keiner.
Rein äußerlich erwartet
mich ein vor langer Zeit mal grün gestrichener Bretterzaun, in
dessen Mitte ist ein rechteckiger Pool in die Erde gemauert, dessen
heißes, weißes, dampfendes Wasser mich mit Wohlwollen erfüllt.
Einige Maori-Gesichter lächeln mich an. Umkleiden sind lediglich
eine weitere halbe Bretterwand. Hier gehts mir gut. Einfach und
ursprünglich. Ich erinner mich an die heiße Quelle in Tatopani in
Nepal, nur dass es dort wesentlich kälter war und der Ausblick auf
die schneeweißen Berggifel dramatischer - so ähnlich ist die
Athmosphäre.
Ein geothermisch
erhitztes Maori-Schwefelbad, fernab vom Tourismus, spiegelnden
Fassade und überhöhtem Eintritt. Ich genieß die dampfende Hitze,
obwohl mir eher nach joggen zumute ist und freu ich, dass ich nichts
von der Unterhaltung der Männer verstehe, weil die Sprache so
fremdländisch klingt. Ich liege in dem Pool, schau in den Himmel und
spüre gleichzeitig die wohltuende Hitze des Wassers und die frische
Kühle der frühen Morgenluft. Ich bin gleichzeitig weit genug weg,
um in kein Gespräch verwickelt zu werden und doch nah genug, um eine
fremde Welt zu schnuppern, die Normalreisenden verborgen bleibt. Hier
steckt ein Teil der Kultur, die ich gesucht habe und die noch nicht
untergegangen zu sein scheint. Mir geht’s gut und ich weiß, dass
es so gerne weitergehen darf.
Hinterher geht’s zu
Rührei, Nescafe und meinem vierrädrigen Vehikel, zurück in die
Welt, die ich jetzt bereit bin mit allen traditionellen und modernen,
mit allen europäisierten und adrenalingespeisten Facetten kennen zu
lernen und anzunehmen. Maori oder Nicht - Neuseelands Kultur macht
halt die Mixture als Gesamtpaket aus.