Donnerstag, 28. März 2013

Tioman ist ein kleines kultiviertes Paradies. Nicht überlaufen aber touristich erschlossen und Air Batang (keiner weiß warum, kurz aber ABC genannt) gleicht einem gemütlichen Backpackernest mit kleinen noch einheimissch wirkenden Restos, bunt bepinselten Bars, die wahlweise Reggae oder Metal spielen, zerfallenen Hütten oder Booten am Wegesrand und einer Unsumme an Tauchschulen. ABC hat immer noch keine Straßenverbindung zum Hauptort in der Nachbarbucht und das macht alles noch einen Tic gemütlicher. Eine Insel mit Bergen und vielen Stränden. Das Wasser ist kristallklar, die Luft frisch und das Wetter einmalig. Wandern, Schnorcheln, Tauchen, Relaxen.

Zudem hab ich eine gemütliche Hütte und eine Gruppe netter Menschen um mich: Colin, der britische Kanadier, der seit Monaten durch Asien reist, Genevieve und Kirsten, die britschen Aussteigerinnen, die in KL arbeiten und im krassen Gegensatz dazu Esa und Marc, zwei finnische Brüder, die nur eine Woche Urlaub haben und mal eben für ein Paar Tage hierher geflogen sind. Jede Jeck is anders.
 
Der erste Abend dient direkt dazu mich ab Morgen für vier Tage an die Tauchschule zu ketten, um bloß nicht das Gefühl von Kiki-tut-mal-nix aufkommen zu lassen und dann genieße ich den ersten Abend mit meinen neuen Freunden der Reggae-Bar.
Heute kann ich noch feiern, erst ab übermorgen geht’s ins Meer runter. Die Theorie mach ich doch mit links.
Denk ich.
Aber die Theorie ist heftig und wird nach amerikanischem Vorbild in mich geprügelt: Zwei Videos mit geballten Infos über physikalische Gesetzte, Strömungen, Equipment und medizinische Probleme, die ich mithilfe von Büchern verstehen muss, um am Nachmittag die ersten Tests in Englisch zu bestehen. Mir qualmt der Kopf und ich bin froh, dass anschlieend die ersten Übungen im Pool den Lernfrust auflockern.
 
„You need a beer?“, fangen mich die Norweger ab, als ich ihre Hütte passiere. Was für eine Frage. Ich hab die kalte Dose ja auch schon im Gepäck, lass mich aber gern bei ihnen nieder, um mir eine Packung seelische Aufmunterung für den nächsten Tag einzustecken. Die anderen trudeln auch wie auf Bestellung ein: Essen gehen, Bier trinken, Loslassen und Abschalten. Dafür gibts Freunde. Wenn auch nur für drei Tage.
Als ich um Mitternacht in mein Bett falle, bin ich heilfroh, totmüde und glücklich. Warum nur zum Teufel ist mein geliebter Schatz jetzt nicht mit dabei? Er hätte seine Freude an dem kleinen Paradies, den Menschen und am Tauchen lernen.
Nachts werd ich wach.
Eine Silouette?
ICH SCHREI!!!
Da ist jemand in meiner Hütte. Flink wie ein Wiesel springt er aus dem Fenster. Ich pack den Schlafsack um mich und brüll hinterher: „Ashole“
Licht an, Klamotten an. Fehlt was?
Laptop da, Kamera da, Bauchtasche...
Wo ist die Bauchtasche?
Lag die nicht neben mir im Bett?
Ich wühl alles durch. Keine Chance.
Papiere, Unsummen an Geld, weil Tauchschule bezahlt werden muss, Kreditkarte und EC Karte.
Scheißdreckhochdreihundert. Und nu???
Mein erster Gedanke ist, dass ich weiterpenne und morgen zur Polizei gehe. Was soll ich denn schon tun?
Gibts hier überhaupt Polizei?
Wann soll ich das morgen wie machen?
Und gibt’s dann eine reelle Chance meine Sachen wieder zu bekommen?
Ein Scheißgedanke.
Wenn es eine Chance gibt, dann jetzt. - Das „wie“ ergibt sich schon. Hauptsache sofort.
Los!
 
Ich verriegel die Fester, schnapp mir mein Taschenmesser – lächerlich, aber weiß der Kukuk wo mein Pfefferspray ist, wahrscheinlich in der Bauchtasche – und geh hinterher. Ja ich gehe, ich bummel sogar fast. Der Wichser ist eh schneller als ich und längst über alle Berge. Und sollte er noch in der Umgebung sein, warne ich ihn, wenn ich renne und womöglich schreie. Nein, lässig bummelnd schlendern.Allein das Geld sind hier zwei Monatseinkommen. Ich zitter und will rennen. Ruuuuhig...
Ah, vier Uhr und noch Licht in dem Haus. Ob er das ist?
Ich schleiche zum Fenster. Die Vorhänge sind zugezogen. Sehr verdächtig. Aber man kann durch die Ritze der Holzverkleidung linsen.
Gottseidank. Ich muss nicht mein Schweizer Klappmesser vor mich halten, das Haus stürmen und grollend „Hände hoch“ brüllen. Ein Comuterjunkie zockt.
Weiter geht’s.
Wieder Licht.
Was hier nachts noch alles so los ist.
Vor dem Haus hockt eine Frau und sortiert Schuhe. Ha, ich muss lächeln und an Beate denken, die mit Vorliebe Samstag nachts nach der Party die Treppe putzt.
Aber sie könnte eine Zeugin sein.
„Excuse me“, spreche ich sie an.
„Yes, can I help you?“ eine Bierfahne weht mir entgegen.
„Excuse me. Have you seen a man running down the way, a few minutes ago?“
Sie reißt die Augen auf: „Yes – but there were two. Why? He was drunken.“
„Oh, I got robbed at the moment, i just wanna know if the thief could be in this direction.“
„WHAT? Wait, wait“, sie reißt die Tür auf und brüllt nach ihrem Mann.
„He had a red T-shirt?“
„Maybe – I dont know, I was asleep“, aber ich schwöre, in dem Moment hatte der Typ ein rotes T-Shirt für mich an. Wehe, mir begegnet eins. Dem ramm ich mein Messer bis zum roten Griff in die Rippen, dass das schweizer Kreuz über seinem Herzen steckt.
„What happened?“, die nächste Fahne haut mich aus den FlipFlops. Aber der Kerl hat schon das Handy am Ohr und wirkt stocknüchtern. Ich erzähl nochmal, aber währenddessen telefoniert er bereits, als hätte er drahtlose Verbindung zu allen Kleinkriminellen, zieht sich die Schuhe an und rennt weiter in Fluchtrichtung. Wir folgen ihm, denn für mich versprüht er Hoffnung mit seinem Elan und seine Frau bekommt wohl noch ne spannende Nach geboten.

Später versteh ich die Aufregung, denn „Never shit the own place“ ist hier ein ungeschriebenes Gesetzt. Daraus folgt: „Sorge für den guten Ruf im Dorf!“ und „Denn alles Übel kommt von außerhalb“. Eine tugendhafte Form von Rassismus im touristischen Microkosmos, der mir recht ist.
Als wir um die Ecke biegen stehn dort ein Dutzend junge Leute, die Hälfte davon in roten T-Shirts. Meine Hoffnung sinkt: Die Belegschaft vom Sunset-Cafe, Einheitslook rot, lungert noch mit Kumpels rum. Soll ich auf Verdacht in jedes rote T-Shirt stechen. Lebenslänglich. Wahrscheinlich hat sich die Frau geirrt.
Hey, aber ihr Mann ist fit. Er redet und redet, ich versteh gar nichts, die Masse wird unruhig, alles redet wild durcheinander... war da doch was?
Und auf einmal kommt Bewegung in den Pulk.
Was geht jetzt ab? Zwei schießen wie vom Teufel gejagd davon und andere jagen hinterher. Ich folge nur meinem Instinkt ohne zu wissen, wer hier welche Rolle spielt. Noch ist jeder für mich potentieller Dieb. Ich renne. Aber ich bin zu langsam, der Abstand wird zu groß. Kurz bin ich mir sicher, die Jungs regeln das besser ohne mich, aber es siegt das Gefühl aktiv mein Eigentum zu sichern. Scheiß auf die Latschen, sie bleiben an der Treppe stehen, die über den Hügel zur Nachbarbucht führt und dann leg ich den Turbogang ein. Ich werde schneller, aber mein Turbo reicht noch lange nicht an den Groundspeed der jungen Einheimischen ran und als ich mit die Lunge aus dem Hals hechelnd über den Hügel bin, stehet die Gruppe schon da und diskutiert wild.
Wer zum Teufel ist jetzt gut und wer ist böse?
In billigen Filmen sieht man das direkt. Hier nicht.
Die zwei Kerls in abgewetzten Klamotten? Die hättens nötig. Oder doch eins von den roten Shirts? Die hat die Frau gesehen. Und war der Einbrecher vielleicht blond? Das hätte ich getippt. Ich verdächtige erstmal unsinnig jeden, lass Taschen durchwühlen, frage sinnlos die Flodder nach dem Grund der Flucht, bis ich merke, dass die kein Englisch verstehen. Das bringt nichts.
Meine Logik schlägt Saltos, mein Verstand will jetzt Ergebnisse sehen und mein Gefühl sagt mir, dass ich so nah dran bin. Aber ich bin nicht in einem deutschen Gerichtssaal, sondern um fünf Uhr morgends mit Besoffenen und Kriminellen in einer schummrig beleuchteten Ecke in Malaysia. Hier müssen Einheimische das Wort in ihrer Sprache führen. Und derer sind viele da und sie fühlen sich verdammt verpflichtet mir zu helfen – mehr noch: sie haben Spaß dabei und fühlen sich in ihrem Heldentum herausgefordert.
Die Hauptverdächtigen sind schnell die armen Schlucker und das Bild passt immerhin in jeden Film, der mit gängigen Klischees spielt.
„Police is comming“, sagt mir einer.
 
Blitzartig scant mein Hirn die Erinnerung der Landkarte durch. Hier sind die Buchten nur mit dem Boot zu und mein Blick gleitet aufs Meer hinaus. Cool, kommt die Polizei mit dem Speedboat. Kann ich da mitfaren – ich schweife schon siegessicher ab. Aber – Potzblitz, bei der Flucht sind die Täter über die Treppe in der Bucht mit dem Hauptort gelandet, und da gibt’s die einzige Straße der Insel. Siehste Kiki, die regeln dass für dich. Schutzengel und Einheimische in Teamwork. Hab ich ein Glück. Dankbar schnorr ich mir eine Kippe: ich bin raus. Typisch deutsch warte ich jetzt einfach bis die Executive anrückt und alles regelt.
Malaysia ist anders.
Die Verdächtigen werden weiter ausgehorcht, fast hab ich Mitleid und ich überlege schon, ob ich in der Hektik auch richtig im Zimmer gesucht habe. Manchmal passiert das ja.
Da kommt erneut Bewegung in den Pulk.
Der eine würgt und kotzt Richtung Strand -Uaaaahekelhaft- während der andere auf einmal von der Mauer hochgerissen wird, sich einige Jungs auf ihn stürzen und ein Paar Schläge in die Magengegend verteilen. Er würgt auch. Der Kotzende pellt sich in Begleitung eines Sunset-Kellners aus der Gruppe, der mir strahlend zuruft: „He was it - he was it.“
Ich reiß die Augen auf.
„We´re going to look for the bag. Wait“
KLAR warte ich!!!! und ein Stein, so groß wie der Fels zwischen den zwei Buchten, fällt mir vom Herzen. „Sie ham´s, sie ham´s“, jubel ich innerlich und suche nach jemandem, den ich umarmen kann, aber erstens ist da niemand und zweitens ist die Tasche auch noch nicht da.
Plötzlich wird’s laut, der eigentliche Täter klemmt hilflos in einer Ecke zwischen Mauer und abgestelltem Gerümpel und muss Schläge kassieren. Mir wird mulmig. „Er hats doch jetzt zugegeben, wie positiv...“ murmelt der Amateur-Sonderpädagoge-Fachgebiet-Mediation in mir. Ich geh einen Schritt näher. Mein Gesicht muss Bände gesprochen haben, denn eine Hand legt sich von hinten auf meine Schulter:
„Don´t worry, it´s ok.“
„No, it´s not ok, they should stop.“
„Here is Malaysia“
Er hat recht – das ist auch Teil ihrer Sprache.
„Never piss the own town – thats an unwritten law here. They are from Bali“, erklärt er sanft die Art, wie hier das eigene Revier markiert und verteidigt wird, während der andere auf dem Boden liegt und wimmert, wie ein frischgeborener Straßenköter, weil er mit Tritten malträtiert wird. Aha, im Namen der Dorfgemeinschaft wird die Prügelstrafe unter den Heiligenschein der Ehrenrettung mit gutem Grund und Gewissen gestellt. Er windet sich die Mauer entlang, aber irgendeiner der Locals steht immr parat um nochmal handfest klar zu machen, dass hier im falschen Revier gepisst wurde, und dass er daher wohl für mindestens jeden Einwohner und obendrauf jeden zahlenden Touristen Schläge zu kassieren hat. Das entbehrt nicht der Logik.
Als ich kurz darauf einen erneuten Versuch wage mit beschwichtigenden Worten die sinnlos gewordene Prügelei zu stoppen – verdammt, so viele Einwohner gibt’s hier nun wirklich nicht, macht einer der Rächer eine knappe Handbewegung und die Selbstjustiz stoppt apprubt. Dem Geschundenen wird sogar aufgeholfen. Aha! Kulturverständigung! Sie sehen meinen Einwand wohl ein.
Falscher Stolz!
Die Polizi rückt an.
Die sehen zwar aus wie robuste herzensgute Kinderkrankenpfleger in der Ausbildungsphase, zumal keiner auch nur eine Uniform oder etwas ähnliches trägt, machen aber demzutrotz kurzen Prozess: Hosentaschenkontrolle -mein Geld steckt gebündelt dadrin- Handschellen, abführen. Ohne dass irgendwer auch nur eine Aussage gemacht hat, oder das ich angsprochen wurde.
Der Partner kommt zurück und hat meine Bauchtasche incl Reisepass dabei: Handschellen, abführen.
Leider fehlt mein Portemonai mit Maestro und Kreditkarte. Aber die Nacht ist ja noch nicht zu Ende und ich muss erstmal mit auf die Wache, nicht ohne den freundlichen Beamten darauf hinzuweisen, dass ich schuhlos bin und somit gerne auch einen Rücktransport gewährleistet hätte. Gebongt! Das würds in Deutschland nicht geben.
Ich danke den Beteiligten überschwenglich für die bilderbuchreife Aufklärungsarbeit -sie waren wirklich Gold wert- und steige auf den Beifahrersitz, während die Kriminellen hinter Gittern auf der Ladefläche bewacht werden. Das Happy End rückt näher.
Auf der Wache dauert alles sehr lange, obwohl eigentlich nichts passiert.
Für mich nicht.
Die Wache ist in einem neuen Gebäude, was fast gemütlich wirkt. Auch das Erste was einem beim Betreten des Raumes auffällt, ist die alternde Sofagarnitur rechts und links der Tür mit einem Teppich dazwischen. Kaffee und Kuchen hätten mich wie bei Großmutter fühlen lassen. Ah, gegenüber steht ein Schreibtisch, der dem ganzen einen ofiziellen Touch gibt. Ich soll auf dem unbequemen Stuhl am Schreibtisch platznehmen, wähend die Täter nebeneinander in Handschellen auf dem Dreier flätzen dürfen. Was ist das denn? Ich bin auch müde, es ist schließlich mitlerweile halb sechs .
Da kommt der Polizeichef. Dick, gemütlich, lässig und mit einem Schnäuzer, aber mit ernstem Gesicht. Zack. Jetzt wird aufgtanden, wie Schüler unsere beim Morgengruß. Er gibt mir die Hand. Ich darf sitzenbleiben. Die Bösen nicht.
Es ist erbärmlich und fast erniedrigend, dass die Taschen hier auf dem Boden vor allen ausgepckt werden. Erst jetzt merke ich, dass die Hose des Hauptdiebes nur noch an wenigen Stellen zusammenhält und total verdreckt ist. Man kann ihm im Schritt bis auf seine gelbe Unterhose und noch weiter blicken. Auch das T-Shirt hängt nur halbherzig über seinen Schultern, aber das muss er eh ausziehen und der harte aber schmale und lieblos tätowierte Oberkörper wird frei. Den Gürtel muss er auch schonmal ablegen, und nicht nur seine Hose sackt jetzt noch tiefer. Dass in dem Moment aber noch eine reizvolle Damenunterhose in mintgrüner Spitze mit zwei Fingern aus seinem Gepäck gezogen wird, über die lauthals gelacht wird, setzt dem Ganzen die Krone auf. LOL geht innerlich bei mir ab, denn herrliche Comedyszenen flitzen durch meine Visionen, trotzdem steigt Mitleid in mir hoch, denn gleichzeitig denke ich an manche Schüler, die mit Sicherheit ähnlich enden werden. Und keiner fragt je nach der Freiwilligkeit des Lebensweges .
In seiner Tasche befinden sich gefühlte dreißig Feuerzeuge und Unmengen an Zigarettenpackungen. Meine übrigends auch, die ich mir sofort unter den Nagel reiße. Das ist nur fair, so wird das Schauspiel etwas ertäglicher für mich, aweil ich mir Dayly-Soap-Athmosphäre verschaffe.
Ansonsten scheint er noch genau ein T-Shirt und mehrere Deoroller zu besitzen. Ansonsten nix. Vor meinen Augen seh ich mich meinen Rucksack schleppen und von Ladekabel, bis Drittobjektiv, von Teebaumöl bis Shirts für alle Klimazonen. Ich denk an das Zimmer, was ich möbliert vermietet habe und den Keller, der voll mit Hausrat steht. Was man alles so für lebennotwendig erachtet. Und der hier?
Aber in dem Moment erregt etwas anderes die Aufmerksamkeit der Obrigkeit: drei Handys und eine Kamera. Hoppla: Menschen, die nur ein Tshirt besitzen, haben nicht zwei Handys.
Und noch etwas wird in einer leeren Zigarettenpackung gefunden: Heroinbesteck -und die Lässigkeit der Beamten verschwindet schlagartig. Der unschuldigere Kumpel wird gepackt und weggebracht. Erst als sie zurückkommen verstehe ich, dass die eine Hausdurchsuchung gemacht haben, denn da ist einiges im Handgepäck: Laptop, Tauchuhren, Microsoundanlage, eine kostspielige Angel. Außerdem kommen noch zwei Männer mit. Einer mit BMW-Racing-Shirt, was mich stutzig macht. Der wirkt reich.
Und jetzt geht’s schnell.
Beide müssen vor dem Sofa stehen. Der erste wird angebrüllt, während sein Blick nicht mehr dem eines beim Rauchen erwischten Schülers auf der Klassenfahrt gleicht, sondern dem eines bei der Abschlussprüfung beim Pfuschen erwischten. Zukunftsangst. Und das muss er jetzt auch wohl haben.
Fragen werden ohne Lächeln gestellt.
Auf eine ansatzweise läppische Antwort gibt’s eine schallende Ohrfeige vom Polizisten. Hoppla, wunder ich mich, aber schon rasseln die nächsten Schläge in sein Gesicht.
„Nyanyi“, ich versteh das nicht. Der Angesprochene wohl schon, denn er schaut ungläubig auf.
„Nyanyi“, wird befehlend wiederholt und die nächste Ohrfeige scheppert durch die Stille.
Und ich verstehe, denn er fängt leise an zu singen, während er zu Boden schaut und die Cops weiter jedes Detail durchwühlen.
„Nyanyi“, wird gebrüllt und bevor die nächsten Schläge rasseln, drückt er die Repeattaste für die Endlosschleife.
Ich schau auf die Uhr. Halb sieben. Ich sitzt nur blöd rum und bin totmüde. Leute, eine Unterschrift und ab ins Bett. Mir wird langweilig. Ich hatte meinen Film und ab jetzt läuft nur noch Abspann. Aber die Cops suhlen sich in ihrem Erfolg. Viel scheint hier sonst nicht zu tun zu sein.
Endlich darf er aufhören und wird in die Zelle gesperrt. Mir gegenüber am Ende des Ganges. Er sitzt im Neonlicht auf dem Boden, direkt vor der Eisentür. Soll ich ihn beobachten, oder ist die Zelle so klein, das er nicht um die Ecke sitzen kann? Er schnippt ein paar Kakerlaken weg, sinkt langsam zusammen und rollt sich endlich auf dem Boden ein. Kein Wasser, keine Decke, noch nicht mal sein T-Shirt.
Aufwachen... spricht da jemand mir mir? Warum zum Teufel nuschelt er so? Gebiss vergessen? Jeden Satz muss er für mich wiederholen. Ah, jetzt kommts, es geht wirkich um mich:
Ich hab zwei Möglichkeiten, Anzeige zu machen (KLAR!!!), dann muss ich in ein zwei Monaten in KL vor dem Gericht erscheinen, um Aussage zu machen (NIE!!!), oder ich gehe einfach, weil ich alles zurückbekommen habe und dann bin ich frei.
Cool, aber was ist mit meinen Kreditkarten?
Die soll ich einfach sperren. Aber die Kreditinstitute wollen meist ne Anzeige (dann muss ich doch nach KL?)
Und was ist überhaupt mit den Verbrechern, sind die morgen auf freiem Fuß, wenn ich keine Anzeige mach?
„Nonono, we found stuff to take drugs. There will be a test, that takes minimun two weeks. Come on, we go.“
„Go? No report, no signature?“
„No need“
Der Fahrer steht auf, lächelt und fährt mich ans Ende der Bucht. Dafür bin ich also mitgenommen worden? Naja, immerhin erklärt mir der nette Bulle noch, dass die zwei andern Männer auch Geschädigte waren, unter anderem der Chef der Jetty, der Arbeitgber der Diebe, die erst vor zwei Tagen bei ihm angefangen haben. Wahrscheinlich macht der Anzeige.
Eigentlich könnte jetzt hier Ende sein. Ist es aber nicht.
Ich ärger mich, dass meine teuren Flipsflops aus Neuseeland weg sind, als ich über den Hügel bin- aber das ist jetzte das geringste Übel -, geh zu meiner Hütte, um die Wertsachen weg zu bringen, schnapp mir mein Handy, meine einzige noch nicht verlorene Taschenlampe und versuche damit die Felsen am Hügel nach meinem Portemonai abzusuchen. Dort haben sie es wohl weggeschmissen. Keine Chance. Die Lampe ist zu schwach. Und ohne Schuhe ist kaum ein Klettern möglich. Ich brauch drigend eine Lampe, denn wenn die Flut kommt, hab ich keine Schnitte mehr, und in dem Moment, werd ich von der Seite angerufen:
„You got everything?“ - Der gute Helfer ist immer noch wach. Klar erklärt er, die Polizei war ja auch andauernd hier.
„What are you doing here?“
„I try to find my moneycase. But my torch is not strong enough.“
„And why dont you wear shoes?“
„They were gone, when I came back, someone took them I guess.“
„Wait.“
Und er weckt seine Mutter, reicht mir eine Lampe und meint nur: „You climb the rock, I look at the beach.“ Engel können Bierfahnen haben, weiß ich in dem Moment.
Ich kraxel barfuß über die Felsen und das Laub, die Lampe ist gut, aber ich finde nichts, da brüllt es: „You miss a red lighter?“
Ich renne zu ihm. ´Wo mein Feuerzeug, da meine Kreditkarte´ lautet mein persönliches Gesetz.
Es stimmt. Seine Frau und er stehen am Beach und halten nicht nur mein Feuerzeug, sondern auch mein Portemomai in der Hand, mit allen Karten und alle Adresszettel und Flugnummern und einem Kilo Sand.
Und jetzt hab ich jemanden, den ich um den Hals fallen kann. Und das tu ich auch.
Schlaf gibt’s keinen mehr an dem Morgen. Aber die Story ist immer noch nicht zu Ende.

Mittgs treffe ich Colin und erzähl ihm von meinr Nacht, weil er mich schuhlos von Schatten zu Schatten über den heißen Weg rennen sieht. Abends schenkt er mir vor dem Essen gehen seine alten FlipFlops, die zwar Größe 45 haben, aber er fliegt morgen heim und braucht sie nicht mehr.
Essen gehen wir auf meinen Wunsch hin alle zusammen in dem Laden, gegenüber von dem Paar, was meine helfenden Engel in der Nacht waren. Ich möchte ihnen die obligtorischen zehn Prozent Finderlohngeben. Die könnn das bestimmt gebrauchen, bei dem Bierkonsum.
Ich klopf an deren Tür, er öffnet und bevor ich etwas sagen kann dreht er sich um, hält meine Schuhe in der Hand und fragt lächelnd: „You still look for your shoes?“
Ich fass es nicht: „No, I mean yes, but actually I´m here to say thank you.“
Er hört gar nicht zu und erklärt, dass er die auch noch gefunden habe.
Jetzt fall ich ihm nochmal um den Hals.
 
Ich drück ihm das Geld in die Hand, erkläre, dass ich sauer bin, wenn er es nicht nimmt, allein die Schuhe haben doppelt so viel gekostet, wie diese hundert Ringits – das sag ich nicht laut – und kehre zu meinen Freunden mit diesen Neuigkeiten zurück.
Der Jubel ist riesig. Nicht nur bei mir.

SurprisepartY

Vorwort: (ich hasse Vorwörter!)
Als ich in Neuseeland ankam und das Land weder mochte noch verstand, erreichte mich die Message meines Freundes Dipankar aus Pune/Indien: „When everything is going dark and dim, dont worry... god is actually switching off the lights before throwing a surprise party.“
Ich hab drei Wochen gebraucht um das Land zu mögen. Bin dann vier Wochen glücklich rumgekrused, um in meinen letzten drei Tagen an diesen Ort zurückzukehren, an dem nicht nur mein Mietwagen das erste Mal verreckt ist, sondern an dem meine Einstiegsdepression wegen Regen und Kälte unter den Gefrierpunkt gefallen war.

Oft Kanu gefahren bin ich wirklich noch nicht.
Kajak dagagen noch nie.
Und jetzt bekomme ich spontan genau dieses für die nächsten drei Tage unter den Hintern geschoben. Schließlich bin ich allein auf dem Wasser und allein lässt sich nur ein Kajak steuern. Ich denke ganz bewusst nicht daran, dass auf der Ardeche regelmßig die Kumpels untergegangen sind, die in einem Kajak saßen. Solche Gdanken irritieren jetzte nur und außerdem lag das mit Sicherheit nicht an dem Bootstyp versuche ich mich zu beruhigen. Vielmehr schiebe ich den Zustand auf Ungeschick des männlichen Übermutes unter Einfluss von zu viel Kölsch, dem Katja und ich damals im Kanu weibliches Geschick und Trinkfestigkeit entgegengesezt haben.
Und trotzdem bekomme ich allmählich ein mulmiges Gefühl.
Dass ich nicht allein für drei Tage dem unbekannten Fluss ausgesetzt werde, sondern mich mindestens einer Non-guidet-Person anschließen muss, wenn ich schon keine geführet Tour buche, kann ich noch verstehen, aber der fürchterliche Gedanke, womöglich mit einem tranigen Päärchen unterwegs sein zu müssen, was sich durch zu viel Nähe auf engem Raum permanentem Rosenkrieg unterwirft, wird bewusst sportlich verdrängt: „Rechts..... r e c h t s..... REEEEECHTS hab ich gesagt.... zum Teufel... kannst du nicht hören...., du bist du zu blöd zum ….. wie damals, als..... meine Mutter hat recht gehabt...“, Puh, diese asexuellen abturnenden Ehekriege kennt doch jeder und braucht keiner. Lieber wär mir eine Gruppe cooler Leute, mit denen Spaß und Bier gleichermaßn den Wankawi River stromabwärts fließt. Aber ich werde als Anhängsel einem Päärchen zugewiesen und letztendlich soll mir nur wichtig sein, dass sie mich im Notfall rausziehen und den Helikopter oder das Speedboat rufen. Schließlich sehe ich mich von vornerein schon ziemlich verunfallt, als ich Emegency-Nummern für den eintreffenden worstcase hinterlegen muss. Mein lieber Schatz, deine Telefonnummer ist mitlerweile überall in der Welt verteilt. Verzeih mir.
Am nächsten Morgen wird das Paket „Unsicherheit“ dann weiter geschnürt, als zum Aufbruch gerüstet wird: Mein Gepäck muss in wasserdichte Säcke gepackt werden, die erstens nicht so richtig wasserdicht sind und zweitens zu klein, um all meinen Krempel auf zu nehmen. Wut kocht hoch! Ich weiß noch nicht, wen sie treffen wird, aber ich weiß genau, dass ich gestern im Office betonthabe, dass ich eine Hungerphobie hab und eine Frostbeule bin, weshalb ich neben Unmengen an Lebensmitteln auch zwei Schlafsäcke mitscheppen muss.
„No Problem", war die Antwort aus dem Mund eines greisen Abenteurers, der entweder noch nie mit genau diesem Kajak gefahren ist oder noch nie eine Frau hat packen gesehen.
Wütend lasse ich meine Wasservorräte von zehn Litern, -kein Problem, das wird aus Wasserfällen aufgefangen und abgekocht, meint irgendein anscheinend Verantwortlicher vor Ort- und meine Kochutensilien -mit denen ich mir Salat hätte zubereiten können (und Wasser abkochen können)- im Auto, genauso wie Austauschobjeltive und Buch, was mir die Langeweile am Abend hätte vertreiben sollen. Außerdem beschränke mich auf eine Flasche Wein, und eine Packung Zigaretten, das ist eh gesünder. Vor meinem geistigen Auge sehe mich an Scorbut und Hospitalismus leiden. Gekrönt mit depressiviven Verstimmungn weil ich meine Not nicht in Alkohol ertränkend kann. So ging das damals allen Seeleuten, so wird es mir ergehen. Meine Laune ist auf dem Nullpunkt. Hinein ins Elend.
„Oh my god“ – ich verzweifel und schwitze trotz der noch eisigen Temparaturen in der Frühe. Die Realität holt mich ein, denn obwohl ich mein Gepäck so selbstlos reduziert habe, fülle ich immer noch drei Säcke und ein Fass mit lebensnotwendigen Dingen.
Der Platz reicht immer noch nicht und ich brauche dringend einen Schuldigen als Ventil. Ich focussiere ganz klar den Veranstalter, weil der nicht da ist und somit kann ich ungehemmt fluchen.
Das Fass sollen meine zugewiesenen Beleiter, ein stocknüchternes britisches Päärchen -ich habs doch gesagt!!! argh!!!!- einfach mit an Bord nehmen, sagt der Fahrer des Shuttels. Na, wenn der das so anweist, dann muss das bestimmt so laufen. Die schüchternen Frischverliebten werden sich freuen.
Im Shuttelbus sitzen dann komischereise noch sechs Leute mehr. Zwei davon sind mit halbwüchsigen Gören und einer mit ner schweizerischen-touri-part-time-loverin mewaffnet. Sie wollen den Wangawi-River unsicher machen. Einer scheint eigentlich Tourguide zu sein, denn er hat mir immerhin ein paar Wassesäcke zum bepacken gegeben, da ich sein breites nuschelndes Englisch mit den verschluckenden Wortenden aber nicht richtig verstehe, bin ich mir nicht so sicher. Sie bilden genau den Gegenpol zu dem schweigsamen sportlichen Paar. Es wird gelacht, geulkt, die Kinder sind aufgedreht und die Gruppe verbreitet eine fröhliche Stimmung.
Zwischendrin sitze ich, mit einem Boot, was ich nicht beherrsche und was mein Gepäck nicht transportieren kann.
Aber ich komm gar nicht zum Nachdenken, da der Fahrer freundlicherweise mit Einweisungen begonnen hat und mich mich auf Englisch mit Sicherheitstipps bombardiert. Ich versuche mich auf sein Speedvokabular einzulassen:
„...bei Bäumen einen großen Bogen machen, die laufen unter Wasser noch ewig weiter.... bei Rapids immer im V des Stromes fahren, es sei denn, es ist zu schnelle Strömung, dann etwas daneben, innerhalb oder außerhalb???, du wirst schon sehn..,„
ich nicke denn das V werd ich wohl sehen, den Rest versteh ich eh nicht
„aber es treibt dich nah an die Felsen“
scheiße, das will ich nicht
„also hier notfalls gegenlenken und solltest du doch den Fels touchieren... gegenlehnen, das machen alle falsch und dann kippen sie um...“
fuckdasklingtnichtgut
“bei Speedbooten“
scheiße, die gibt’s auch noch????
„...quer stellen, und immer nach rechts rüber, sonst haun dich die Wellen um...“
MAMA
„...und solltest du umkippen treiben lassen, ach!... und nie nie nie das Ruder loslassen, weil ohne Ruder keine Chance...haha...“
lacht der w*** da grad??? mir geht grad der Arsch auf Grundeis, was es hoffentlich nicht auch noch im Fluss gibt
„...aber sollte es mal ganz schlimm werden, bloß nicht über Land versuchen Rettung zu bekommen, hier ist überall Urwald da findest du nie raus...“
ahahmmgrr
„...aber wenn du nach drei Tagen nicht da bist schicken wir ein Speedboat stromaufwärts...“
bis dahin bin ich verhungert
„...und ach ja... bei gekräuseltem Wasser umfahren, da ist flach, besonders jetzt, aber nicht über das einzeln gekräuselte kommen, da sind Unterwasserfelsen...“
MIRREICHTS
„...bei Stromschnellen mindestens die Fließgeschwindigkeit des Flusses halten, also speed...“ SCHNAUZE, aber es hilft nicht
„...und bei Whirlpools“
what the hell is ???
„gegenlenken, die saugen dich ein oder ziehen dich quer über den Fluss, aber lenken kanns du ja oder...“
F****?????
Statistisch gesehen können kleine Kinder bis in die Grundschule EINE Botschaft auf einmal verstehen und behalten, im fortgeschrittenen Alter dann einige mehr – was nicht bei allen Schülern zutrifft. Dieses Kerl scheint zu denken dass sich dies mit zunehmenden Alter potenziert – ABER DAS IST NICHT SO darling!!!
Mir qualmt der Kopf. Während die Fuhre vorne rappelt und klappert und hinten gegröhlt und gelacht wird versuche ich das Wichtigste zu verstehen. F*** Englisch mit so vielen Nebengeräuschen auszumachen fällt mir schwer. Mir schwirrt der Kopf. Was soll ich bei Whirlpools machen? Umfahren? Und warum rechts rüber, hier ist doch Linksverkehr? Und... aber die nächste Botschaft kommt angeflogen.
KLATSCH „....und wenn ich nicht weiß wolang, dann einfach diese Karte lesen“, er schleudert mir lässig eine Tüte mit laminierten Hyroglyphen in den Schoß. Ich versuche Sicherheit aus den verblichenen Zeichen zu ziehen, das hilft immer. Bilder bringen mir Klarheit.
Hier nicht!
Mich irritiert das Durcheinander von Buchstaben, Bildern und Pfeilen so sehr, dass sich mein Magen meldet. Himmel und Hölle, seit wann bin ich den ein Kartenanalphabet. Meine Augen durchbohren die Papiere, als ob mir dadurch irgendwann der Mut in die Herzgegend hüpfen würde. Wie Schüler, die bei Tests unlösbare Fragen stundenlang anstarren und auf göttliche Eingebung oder die kurze Aktivierung des Langzeitgedächtnisses warten. In solchen Momenten komm dann höchstns ich, um einzusammeln. So fühlen die sich also.
Da! Ich bin anders! Göttliche Eingebung? Die Karte ist falsch. - Notfalls sind immer die anderes Schuld. - Ein völlig fremder Flussabschnitt wurde mir in die Hand gedrückt, die fahrbare Route müsste auf den fehlenden drei Seiten sein. Ich schau mich vorsichtig um. Könnte ja idiotisch sein die Annahme.
Ja, das Päärchen hat diese Seiten.
Ich sprech den Fahrer an.
Ja, er hat sich wohl vertan: „No problem, just follow them“, er zeigt auf das Päärchen.
So langsam reichts mir hier. Ich muss dringend Verbündete haben, sonst sauf ich vor der ersten Stromschnelle ab.
„Hello“, dreh ich mich zu dem Päärchen um, denn bisher hat sich noch niemand verantwortlich gefühlt uns einander vorzustellen. „I think you´re the two, I acompany for three days. My name is Kirsten.“
„Oh, hello. (Hinz und Kunz?) You can do. But we don´t go out for three days, we´re doing the tour in two days.“
SMASH
„????? Pardon?“
„Sorry, we´re doing the tour in just two days, we don´t have enough time, so we have to do hurry up directly, when we reach the river.“
„Fuckthefuckingfuck“ - ich liebe Bens lyrische Kreation für ausweglose Situationen.
Ich bin verloren.
Jetzt …
Welche scheiß fucking Orga steckt denn dahinter.
Wer nimmt mein Gepäck`?
Wer rettet mich vorm Ertrinken?
Bei wem schnorr ich Wein?
„You got it?“, haue ich den Fahrer an.
Er bleibt lässig, als hätte jemand nur das vorletzte Bier gesoffen: „Shit, Paul is getting old. He´s making bullshit every day.“ Ein mildes Kopfschütteln ihn kratzt das nicht. Das scheint an der Tagesordnung zu sein. „He has to quit the job. So you can go with the group.“
The group? Das sind wohl die lustien Gesellen auf der Rückbank.
Ich horche in mich. Der vermeindliche Tourguide spricht so schnell und lässig, dass ich immer dreimal nachfragen muss. Außerdem wirkt er so distanziert, als wäre es ihm zu lästig einen einsamen Ladyhasen zu betreuen, während er ein lässiges Wochenende mit Kumpels verbringen will. Seine Tochter ist bildhübsch und wirkt aufgeweckt, redet und gackert allerdings pausenlos, wie eine Vorpubertierende. Der zahnlose Freund scheint gar nicht reden zu könnn, dafür lacht er permanet grollend, wie Quasimodo in den herzzerreißendsten Filmszenen. Sein Sohn passt nicht zu ihm und steht dem Mädel um nichts an Schönheit und blitzenden Augen nach – ein Lichtblick. Und was will der dritte Freund, lang, hager, fussig, wie ein im Mittelalter geflüchteter Quäker aus Irland, mit dieser bildhübschen blutjungen Schweizerin, die sich nur in ihren rosa Strickpulli kuschelt und raucht?
Und wie sehr freuen die sich auf ihrem entspannten Trip eine einsame übermütige Middelagerin zu bemuttern?
Ich verzieh mich nach innen. Grummel in mich rein und mach mir gaaaanz bewusst, dass es keine Zufälle im Leben gibt. Das muss zu was gut sein. Ich weiß nur noch nicht wozu.
Beim Abladen am Ufer sind die Engländer bereits auf dem Wasser, als ich meine Gepäckrollen in Emfang nehme. Gute Reise und danke für das Nachfragen, ob ich doch lieber euch begleiten will. Als sie um die erste Kurve verschwinden merke ich, dass die Gepäckrollen zu groß für die Öffnungen ins Kajak passen.
„Idn´tknwnthingbou Kajaks“, resümiert der Tourguide, als ich ihn um Tricks anhaue und dreht sich um. Ich verstehe nix, aber „Leck mich am Arsch“, hätte wohl genauso gepasst.
Ich pack also wieder um.
 
mein kleins neben den vollbeladenen...
Meine Körpersprache der Verzeiflung muss eindeutig gewesen sein, denn während die Jungs packen steht die Schweizerin neben mir und pafft mir lächelnd ne frisch Gerollte ins Gesicht:
„Kommst halt mit uns. Is doch cool.“
Ich schau auf.
Sie lächelt unschuldig, wie man das nur in dem Alter beherrscht.
„Bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Und euch auch nicht.“
„Hey, wir nehmen den großen Sack noch und die Tonne ist schon bei Clyde und der Rest...“
Ich reiß innerlich die Augen auf: ohne Absprache hat der unnahbare Freizeitguide meine Tonne bereits bei sich verstaut, also bin ich wohl wilkommen, nur wird nicht drüber geredet.
Und auf einmal klappts.


Ich packe nochmal neu, stopfe die Schuhe und die Klamotten zwischenrein, unterschreibe die Liste mit den besprochenen Sicherheitsbestimmungen - scheißdrauf, das klappt schon irgendwie und bin auf einmal heilfroh, nicht mit dem verbissenen stocksteifen Briten unterwegs sein zu müssen, sondern mit einer Truppe einfacher, herzlichen Kumpels, neutraliesiert durch einem deutschsprachiges sympatisches Mädel und zwei erfrischenden Kids, die so wirken, als würde das erste Bier noch vor der britischen Teatime geöffnet werden. Clyde, Steven und Alwin, die Freunde Hunter und Sam, die Kids und Franzisca. Meine Freunde für die nächsten drei Tage.
Während die Gruppe noch packt, übe ich im seichten Wasser Wendemanöver und ich versuche den potentiellen Umkippunkt zu finden. Pah, das geht ja einfacher als mit einem grobschlächtign Kanu. Ich fühl mich sofort sicher, blicke zum Ufer und wunder mich, dass immer noch gepackt wird. Mein Gott ich hab noch nie so viel Gepäck an Bord eines Kanus gesehen. Entweder die schmuggeln Heizdecken oder haben sämtliche Biervorräte Opanakas an Bord.
Mir wird langweilig und ich will los, kann aber mein neu gewonnenes Zuhause jetzt nicht verlassen, das kommt doch echt blöd. Erst nonverbal Hilfe einfordern und Gepäck verteilen und dann...
Urwaldschreie reißen mich aus den Gedanken. Ich schnelle herum. Die drei Boote schwimmen, auf ihnen steht die Besatzung andächtig, die Ruder sekrecht gen Himmel gestemmt und Clyde singt eine Maorische Hymne, die von energischen Schlachtrufen untermalt wird. Ich bin beeinduckt und gerührt und ich glaube fest daran, dass ab jetzt alles richtig läuft.
 
Und es läuft.
Zwei Stunden padddeln wir mühelos, belanglose Gespräche, lockere Witze, einmalige Landschaft und schnell fühle ich mit den Menschen, dem Kajak und dem Wasser vereint.
Auf einmal brüllt Clyde „Lunchtime“, dreht spontan eine enge Kurve hinter ein paar Stromschnellen - Tourguide ist er, das steht fest. Ich kann kaum reagieren und gegen die Strömung arbeiten aber in Sekundenschnelle sind wir in seichtem Gewässer, legen an der Landzunge im seichten Wasser an und die Jungs packen aus.
Mehrere Fässer. Ich versteh das nicht, denn mir reicht mein kleiner Sack mit Brot und Käse, das Gemüse find ich eh nicht und das Wasser hab ich immer bei mir.
Kurz darauf versteh ich. Der Picknicktisch wird wie bei Muttern mit einer Decke gedeckt.
„You like a beer?“
Ich wusste es! „Yea, if its cold.“
Eine eiskalte tropfende Dose wird mir gereicht. Zisch, Glück, was für ein Traum. Und die ganze Tonne ist voll mit Bierdosen in Eiswürfeln. Das kann ja heiter werden.
Aber dann wird’s ernst und ich mach mich fast lächerlich mit meinem selbstgebackenen Brot von Claudis Oli.
Käse, Wurst, Salat, Tomaten, Gurke, Obst, Ketchup, die haben einen ganzen Supermarkt mit dabei, Mayo, Butter, Marmelde, Avocdocreme, Brot, Kuchen, Oliven, Chips, Kekse.
„Help yourself“, werde ich aufgefordert und das lass ich mir nach einem frühstückslosen Morgen nicht zweimal sagen.
„You like coffee or tea?“
Wie bitte? Ich reiß die Augen auf. „What the hell are you carrying with you?“
„Everything – with milk and sugar?“ Das Schlaraffenland kann nicht besser gewesen sein.
„And tonight we make BBQ. And tomorrow, we serve lambmeat“
„U´re kidding me“
„No, Simon slaughtered it last week and he is a great cook.“
Ich weiß nicht was mich mehr umhaut, das zweite Bier oder die Tatsache, wo ich hier gelandet bin.
Aber es ist Ernst.
Aber am ersten Abend wird der Grill ausgepackt und alles an Fleischwaren gegrillt, was es gibt, mit Salat und Brot und kaltem Bier und Wein und Lagerfeuer. Und als ich gegen drei Uhr ins Zelt schwanke, bin ich einfach nur glücklich. Clyde hat sich in der Nacht noch am Feuer verbrannt, weil es dort gepennt hat, aber als ich morgends aus dem Zelt geschmissen werde, hat er schon den Rest gegrillt, dazu Spiegelei und Kaffee bereitet und wahlweise gibt’s auch Müsli mit Früchten. Kik in heaven.
Am zweiten Abend bereitet Simon in der Küche des maorisch geführten Campingplatzes tatsächlich einen famosen Lammbraten mit Kartoffeln und Salat, während wir uns im Maoriversammlungshaus auf Matratzen ausbreiten und anschließend mit der Besitzerin unter Vollmond Bier in den Schlund schütteten und Weisheiten in den Kopf. Bis nichts mehr da ist.

Jajaja, wir sind auch so an die vierzig Kilometer am Tag gepaddelt, oft musste ich mein Boot auskippen und die anderen haben geschöpft. Einige gingen freiwillig oder auch nicht über Bord und eine heftige Kenteraktion hatten wir auch. Jeden Morgen wurde die Maorihmne für ein gutes Paddeln gesungen. Phasenweise hat uns der Wind zugesetzt und ich hab geflucht was mein Englisch hergibt. Manchmal hat Clyde alte Maorigeschichten zu Orten erzählt und regelmäßig dröhte Alvins Lachen über den Fluss. Wir haben andächtig die Stille genossen und lauthals Wasserbomben verteilt. Wir haben Picknick und Wettrennen veranstaltet. Oft haben die Kinder leise Maorisongs vor sich hin gesungen.
Und am Schluss, also nachdem wir auch noch das ganze Material wieder verstaut und geputzt und sortiert hatten, nachdem wir noch einen oder mehrere Goodbyedrinks bei Clyde genommen hatten und ich die Nacht neben der Tochter auf dem Sofa verbracht hatte, fiel mir Abschied richtig richtig schwer.
Und sollte mich jemals jemand fragen, was ich in Neuseeland am meißten genossen habe....
surprise surprise – thanx dipankar